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Magdeburger Spuren, Nr. 1544

Bericht über die Vertreibung Eberhard Weidensees aus der Pfarrei St. Jakob, 1526.

Die Quelle

Die vorgestellte Textpassage entstammt der Chronik des Andreas Schoppius (1538-1614), die dieser über die Kirchen- und Reformationsgeschichte Magdeburgs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfasste.[1] Ihr vollständiger Titel lautet „Kurtze und warhafftige verzeigniß der furnemesten geistlichen streiten, verenderungen und geschichten, welche in der kirchen der altenstadt Magdeburg sieder der zeit des geoffenbarten antichrists biß auff das 1545 iar Christi sich zugetragen und begeben haben, gestellet durch M. Andream Schoppium anno 1577.“ Der Wernigeröder Oberpfarrer Andreas Schoppius (latinisiert aus Schoppe) überreichte die Handschrift am 1. September 1602 an den Rat der Stadt Magdeburg. Heute wird sie in der Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg unter der Signatur Bi 307 aufbewahrt.

Die Papierhandschrift ist in einen repräsentativen Ledereinband gebunden und umfasst rund 200 nicht paginierte Seiten. Die vorderen Blätter enthalten die von Andreas Schoppius eigenhändig geschriebene Vorrede. Der Chroniktext, der von einer anderen Hand als die Einleitung geschrieben wurde, beginnt auf S. 43. Nach der Vorrede hat Schoppius sein eigenes Manuskript „in diesem sommer [1602] durch einen meiner sön[e] lassen treu abschreiben“. Die Chronik behandelt den Zeitraum von 1522 bis 1545. Sie entstand im Kern um 1577 in Erxleben, wo Schoppius Pfarrer und Bibliothekar des bekannten Büchersammlers Joachim I. von Alvensleben (1514-1588) war. Schoppius referiert in seiner Schrift mehr als 30 Drucke von zum Teil sehr bekannten Autoren wie z. B. Eberhard Weidensee (1486-1547), Nikolaus von Amsdorf (1483-1565) und Johannes Fritzhans (um 1480-1540).

Der hier betrachtete Textausschnitt beginnt auf Seite 128 und endet auf der folgenden Seite.



[1] Einen Gesamtüberblick über Form und Inhalt der Chronik siehe Hartmut Kühne, Forschungsbericht zum Manuskript „Andreas Schoppius: Kurtze und warhafftige verzeigniß der furnemesten geistlichen streiten, verenderungen und geschichten, welche in der kirchen der altenstadt Magdeburg …, gestellet durch M. Andream Schoppium anno 1577, Ms., 1577/1602, für das Stadtarchiv Magdeburg, vorgelegt am 2. Dezember 2021.

Hintergrund

Eberhard Weidensee[1] erblickte 1486 in Hildesheim das Licht der Welt. Er studierte in Leipzig, vielleicht auch in Paris, trat in den Orden der Augustinereremiten ein und war ab 1520 Propst des mit einer Schule verbundenen St. Johannisstifts in Halberstadt. Hier kam er mit Luthers Schriften in Berührung, schloss sich der reformatorischen Bewegung an und unterstützte sie in seinen Vorlesungen und Predigten. 1523 entzog er sich einer Vorladung vor den Erzbischof nach Halle und fand in Magdeburg im Augustinerkloster Zuflucht. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wittenberg kehrte er 1524 wieder nach Magdeburg zurück. Im Zuge der Hinwendung der Altstadt Magdeburg zur Reformation predigte er zunächst an St. Ulrich und übernahm im Sommer 1524 das Pfarramt an der Jakobikirche. Bekannt wurde er als Verfasser zahlreicher Flugschriften, in denen er sich mit der papistischen Domgeistlichkeit auseinandersetzte.

Am 2. Oktober 1524 heiratete Weidensee die Tochter eines Magdeburger Fleischers.[2]

Im Winter 1526 ging er auf Bitten Herzogs Christianus von Schleswig (1503-1559), des späteren Königs von Dänemark, als erster Superintendent in die Stadt Hadersleben. 1533 trat er in Goslar die Nachfolge des verstorbenen Superintendent Paul von Rhoda an. Hier verstarb Eberhard Weidensee im Alter von 61 Jahre am 13. April 1547.

Ebenfalls zu den ersten evangelischen Predigern in Magdeburg gehörte ein wohl aus dem Augustineremitenkloster in Helmstedt entlaufener Mönch, der in den Quellen unter dem Namen Johann „Grawert“, „Grauhard“ oder „Graukopf“ erscheint.[3] Er gehörte zu den „revolutionären Elementen“ der frühen reformatorischen Bewegung. Für die  Vermutung, dass er unter Thomas Müntzers Einfluss gestanden habe,[4] gibt es keine sicheren Belege, auch wenn diese  Einschätzung in der marxistischen Geschichtsschreibung unter verändertem Vorzeichen fortlebte.[5] Gut belegt sind verschiedene Predigten Grauerts im Jahre 1524 und seine Verheiratung mit der Tochter eines Ratsherrn aus der Magdeburger Neustadt zu Beginn des Jahres 1525.[6] Wer dieser Mann tatsächlich gewesen ist, wie er nach Magdeburg kam und wohin es ihn später verschlug, gehört zu den (noch) ungelösten Fragen der Magdeburger und wohl auch der weiteren regionalen Reformationsgeschichte. Er wirkte als Prediger und Kaplan an der Jakobikirche, wo Eberhard Weidensee als Pfarrer amtierte.



[1] Artikel „Weidensee, Eberhard“ von Waldemar Kawerau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 448–450

[2] Paul Tschackert, Dr. Eberhard Weidensee (+ 1547). Leben und Schriften (Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 12), Berlin 1911 (Neudruck Aalen 1973), S. 17 mit Anm. 2.

[3] Thomas Kaufmann, Das Ende der Reformation: Magdeburgs "Herrgotts Kanzlei" (1548-1551/2), Tübingen 2003, S. 25-26.

[4] Friedrich Hülße, Die Einführung der Reformation in der Stadt Magdeburg, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 18 (1883), S. 209-369, hier S. 248-249.

[5] Vgl. etwa Hans Otto Gericke, Zum Klassencharakter der Volksbewegung in Magdeburg während der frühbürgerlichen Revolution, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 5 (1975), S. 52-72, hier S. 64.

[6] Vgl. Die Historia des Möllenvogtes Sebastian Langhans 1524-1525, in: Die Chroniken der niedersächsischen Städte: Magdeburg, Bd. 2 (Die Chroniken der deutschen Städte 27), Leipzig 1899 [ND 1962], S. 106, 144, 146, 155, 192f.

Bedeutung der Quelle

Die in der Quelle belegten Spannungen zwischen den beiden Geistlichen sind nicht völlig unbekannt. Schon Friedrich Gotthilf Kettner schrieb, dass Grawert das Volk gegen Weidensee aufgehetzt hätte, so dass der Pfarrer „mit seinen Weibe aus der Parochie weichen und einen Exulanten abgeben müssen.“[1] In der jüngeren Forschung war dieser Vorgang nicht mehr präsent. Nach Paul Tschackert, der die  letzte Darstellung zu Weidensee verfasste, scheint allein die Berufung zum Hofprediger nach Hadersleben den Fortgang des Geistlichen von Magdeburg ausgelöst zu haben.[2] Dagegen gestatten die durch Schoppius überlieferten Nachrichten über den durch Grauert veranlassten Bildersturm bzw. die Entfernung von Bildern aus den Kirchen durch ihre Stifter (?) und seine Mitwirkung bei der Veränderung der Ratswahl (im Jahr 1524, nicht wie in der Quelle suggeriert 1526),[3] diesen bislang nicht genügend aufgehellten Vorgängen nachzugehen. Dasselbe gilt für die Auseinandersetzungen zwischen Weidensee und Grauert in der Jakobipfarrei im Jahre 1526.



[1] Friedrich Gotthilf Kettner, Clerus Mauritianus […], Magdeburg 1726, S. 441.

[2] Tschackert, Weidensee (wie Anm. 3), S. 38.

[3] Vgl. Historia des Möllenvogtes (wie Anm. 6), S. 146, S. 155.

Weiterführende Literatur:

-          Blume, Herbert, Schoppius (auch Schoppe), Andreas, in: Braunschweigische Biographische Lexikon, Bd. 1: 8-18. Jahrhundert, Braunschweig 2006, S. 268.

-          Kaufmann, Thomas, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548–1551/2) [Beiträge zur historischen Theologie 123] Tübingen 2003.

-          Jacobs, Eduard, „Schoppe, Andreas“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 32 (1891), S. 369-372.

-          Tschackert, Paul, Dr. Eberhard Weidensee (+ 1547). Leben und Schriften (Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 12), Berlin 1911 (Neudruck Aalen 1973).

-          Magdeburg und die Reformation: Teil 1: Eine Stadt folgt Martin Luther (Magdeburger Schriften), Maren Ballerstedt, Gabriele Köster, Cornelia Poenicke (Hg.), Halle 2016.

Transkription

In diesem jar [1526] hat auch Graukopf der capellan zu S. Jakob einen lerm und aufflauff angerichtet, und dem gemeinen pöbel zu freveln erwecket, daß etliche burger mit gewalt die bilder auß der kirchen daselbst genommen und zu hauß getragen. Dazu begehrten die mit den scheiben beilen und barten [Hellebarden?], daß sie ihre zwey rahtsherrn selbst erwehlen und nehmen muchten, denn sie verhoffeten auch zur regierung also zukommen.

Clawes Storm aber der burgermeister hat die burger zu friede gesprochen, und hat der raht verwilliget, daß die gemeine ihre rahtsherrn selbst erwehlen möchten. Also ist Caspar Klug zur Gulden Leuchte wohnhafftig zum burgermeister von der gemeine erwehlet, und zum ersten abgeruffen, wie dann die rahtsherrn der gemeine die ersten stimme im rahte haben, und sindt entweder worthabender burgermeister oder öberster kemmerer, und diese ordenung hat biß auff 1561 iar gewehret. In jetzt erwehntem lermen aber sindt etlich umbs leben kommen, etliche entlauffen, etliche verweiset, etliche ihrs lebendes[1] unsicher gewesen. Welches D. Weidensee dem pfaherr daselbst verdroßen, und derowegen seinen pfarleuten in der sacristey abgedancket, und in seiner frawen vater hauß gegangen. Es hat aber der raht nach D. Weidensee geschickt und bericht gehort, und baldt darnach Grawkopf enturlaubet. So haben aber die evangelischen prediger wieder die sacramentirer und aufruhrer domals je so wol geprediget, alß wieder die papisten, welche den ihren D. Luthers bucher zulesen verboten.



[1] folgt gestrichen unsichtbar

Zitiervorschlag

Hartmut Kühne, Streit unter Lutheranern. Die Vertreibung Eberhard Weidensees aus der Pfarrei St. Jakob (1526), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=1544 (11.12.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
1544
Datierung
01.01.1525 - 31.12.1526
Systematik 1
05 Pfarreien, Klöster und Hospitäler der Altstadt
Fundort
Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg
Signatur Fundort
Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Bi 307
Umfang
2 Seiten
Aktentitel
Andreas Schoppius: Kurtze und warhafftige verzeigniß der furnemesten geistlichen streiten, verenderungen und geschichten, welche in der kirchen der altenstadt Magdeburg …, gestellet durch M. Andream Schoppium anno 1577.
Beschreibung
Eintrag in hanschriftlicher Chronik, dt., Tinte auf Papier, unfol.
Bemerkung
Teil einer handschriftlichen Chronik.
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