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Magdeburger Spuren, Nr. 874

Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg bitten Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, Nikolaus von Amsdorf, Lizentiat der Theologie an der Universität Wittenberg, als Prediger nach Magdeburg zu senden, Magdeburg, 23. Juli 1524.

Die Quelle

Die Urkunde befindet sich im Hauptstaatsarchiv Weimar und dort im Bestand „Ernestinisches Gesamtarchiv“, der die Archivalien der Kanzlei der ernestinischen Kurfürsten von Sachsen enthält. Die Urkunde ist in eine Akte eingebunden, die die Signatur „Reg. H 1“ trägt. Bei der Urkunde handelt es sich um einen auf Pergament geschriebenen Brief. Der Brieftext wurde in einer sauberen, einheitlichen Handschrift verfasst und umfasst 23 Zeilen sowie den Namen des Ausstellers, nämlich Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg.

Bis heute ist zu sehen, dass der Pergamentbogen ursprünglich gefaltet war. Er bildete einen geschlossenen Brief, der mit einem aufgedrückten Siegel unter Papier beglaubigt und verschlossen war. Um den Brief zu öffnen, musste das Siegel gelöst werden. Das aufgedrückte Siegel der Stadt Magdeburg und die Papierabdeckung sind bis heute in einem guten Zustand erhalten geblieben. Auf der Rückseite befindet sich die Adresse mit der üblichen formellen Anrede des Kurfürsten von Sachsen, der der Empfänger des Briefes war. Die kurfürstliche Kanzlei notierte nachträglich einen Inhaltsvermerk.

Der Hintergrund

Die Stadt Magdeburg führte im Jahr 1524 die Reformation ein – gegen den Willen des Stadtherrn, des Kardinals Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Mainz. Dieser Reformationsprozess vollzog sich „von unten“, wurde also nicht durch die politische Obrigkeit durchgesetzt, sondern von einer Mehrheit der Bürger erzwungen. Seit Ende des Jahres 1523 traten Augustiner-Eremiten als erste Prediger der neuen Lehre Martin Luthers auf. „Zügig und eruptiv“ formierte sich eine „Massenbewegung“ (Thomas Kaufmann), die teilweise in Tumulten gegen das altgläubige Magdeburger Domkapitel und das geistliche Personal in der Stadt vorging. Um die Situation zu befrieden, stimmte der Magdeburger Rat der Einrichtung von Bürgerausschüssen der einzelnen Pfarrgemeinden zu. Versammlungen der Kirchgemeinden wählten Kirchenvorstände, die den bisherigen Pfarrern ihre Forderungen vortrugen, darunter die Einführung von Gottesdiensten in deutscher Sprache und evangelischen Abendmahlsfeiern unter beiderlei Gestalt sowie die Einsetzung von Predigern, die sich zur neuen Lehre bekannten. In dieser aufgeheizten Stimmung kam am 24. Juni 1524 Martin Luther zusammen mit Philipp Melanchthon (1497-1560) und Nikolaus von Amsdorf (1483-1546) auf Bitten des Bürgermeisters Nikolaus Storm nach Magdeburg. Bei diesem Besuch schlug er vor, Amsdorf als Prediger nach Magdeburg zu berufen. Nach den ersten evangelischen Abendmahlsfeiern in Magdeburg berief der Rat für den 23. Juli 1524 eine Volksversammlung (Burding) ein, bei der Bürgerschaft und Magistrat einen neuen Bürgereid ablegten, der die Zustimmung zum evangelischen Bekenntnis beinhaltete. Am folgenden Tag schickte der Rat sein Schreiben an Kurfürst Friedrich den Weisen ab.

Amsdorf gehörte einem meißnischen Adelsgeschlecht an. Der Sohn eines Mühlberger Amtmanns hatte sich für eine akademische Laufbahn entschieden. Nach dem Studium in Leipzig wechselte er 1502 an die neugegründete Universität Wittenberg. Er lehrte dort Philosophie und Theologie und erhielt eine Kanonikerstelle des Allerheiligenstifts der Wittenberger Schlosskirche. In den Sommersemestern 1513 und 1522 war er Rektor der Universität. Unter dem Einfluss Luthers wurde Nikolaus von Amsdorf ein Anhänger der Reformation. Luther konnte sich auf Amsdorf verlassen, der unerschütterlich die neue Lehre vertrat und diese als Verbindungsmann zum kursächsischen Hof auch Kurfürst Friedrich dem Weisen nahegebracht hatte.

Wenn der Rat der Stadt Magdeburg den Wittenberger Theologen Nikolaus Amsdorf als Pfarrer berufen wollte, musste er zuerst seinen Dienstherrn, den Kurfürsten von Sachsen, fragen und um Freigabe desselben bitten. Dies geschah mit dem Brief vom 23. Juli 1524. Das Schreiben äußert klar die Zustimmung von Rat und Innungsmeistern der Stadt Magdeburg zur Wittenberger Reformation. Sie erklären, dass die Gemeinde zu St. Ulrich Amsdorf zu ihrem Prediger gewählt habe, und bitten darum, ihn mindestens für ein Jahr freizugeben. Als Begründung führt der Rat an, Amsdorf könne in Magdeburg eine „gründliche Unterrichtung im ewigen Wort Gottes“ vornehmen, also die Lehre der Wittenberger Reformation verbreiten, und den anderen Predigern mit seiner Lehre ein Vorbild sein.

Der Kurfürst von Sachsen wusste von diesem Ansinnen bereits, als der Brief eintraf, denn schon zwei Tage vorher hatte ihn sein Verbindungsmann Dr. Pascha Alvensleben aus Magdeburg unterrichtet und empfohlen, der Bitte zuzustimmen (vgl. Magdeburger Spuren, Nr. 873). Der Kurfürst erteilte die Genehmigung, die Dr. Alvensleben mündlich überbringen sollte. Amsdorf selbst, der von der Entscheidung noch nichts wusste, bat den Kurfürsten am 2. August 1524, er möge ihm gestatten, die Berufung anzunehmen (vgl. Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg H 1, fol. 11r-11v). Als am 9. August 1524 zwei Vertreter Magdeburgs – Bürgermeister Claus Sturm und Kämmerer Anton Moritz – nach Wittenberg kamen, um verschiedene Angelegenheiten zu besprechen, teilte ihnen Georg Spalatin die Genehmigung des Kurfürsten mit. Amsdorf dankte dem Kurfürsten am 16. August und versprach ihm, immer stets zu Diensten zu sein. Im September 1524 traf er in Magdeburg ein, wo ihm am 24. September das Haus des früheren Magdeburger Bürgers Hans Wolf zugewiesen wurde. Seitdem war Nikolaus von Amsdorf Pfarrer der Ulrichskirche und erster Superintendent Magdeburgs.

Bedeutung der Quelle

Die Berufung Nikolaus von Amsdorfs ist ein wichtiges Dokument der Reformationsgeschichte Magdeburgs. Das Schreiben verdeutlicht, dass Magdeburg die Wittenberger Reformation annahm – als erste Stadt in Norddeutschland überhaupt. „Mit Amsdorfs Eintritt in sein Magdeburger Kirchenamt als Pfarrer an St. Ulrich und erster Superintendent der Stadt war eine wichtige personalpolitische Entscheidung zugunsten eines dem ͵Wittenberger Modellʻ entsprechenden Reformationsprozesses […] gefallen.“ (Thomas Kaufmann) Amsdorf transportierte die Glaubensvorstellungen, die der Kreis um Martin Luther und Philipp Melanchthon in Wittenberg entwickelt hatte, nach Magdeburg, was wiederum die Ausbreitung der Reformation im gesamten norddeutschen Raum beförderte. Magdeburg etablierte sich als „Strategiezentrum“ für die Ausbreitung der Reformation des Wittenberger Modells.

Die Urkunde enthält nicht nur ein konfessionelles Bekenntnis, sondern dokumentiert zugleich eine politische Neuausrichtung. Die Wittenberger Reformation verbreitete sich unter dem Schutz des Kurfürsten von Sachsen. Indem der Rat diesem Modell der Reformation zustimmte, machte er den Kurfürsten zu seinem Verbündeten, ja mehr noch, zu seinem Schutzherrn. Denn eine Verteidigung der neuen Lehre gegen Erzbischof Albrecht von Brandenburg und das Magdeburger Domkapitel war nur gemeinsam mit den ernestinischen Kurfürsten von Sachsen möglich. Faktisch bedeutete dies, dass sich der Rat in eine politische Abhängigkeit begab.

Nikolaus von Amsdorf lebte mehr als zwei Jahrzehnte in Magdeburg und war in diesen Jahren die prägende Gestalt der Durchsetzung und Etablierung der Reformation in der Stadt. Er sorgte dafür, dass die Umgestaltung des Gottesdienstes in der Altstadt vorangetrieben wurde, und verteidigte die neue Lehre gegen die Angriffe altgläubiger Theologen, etwa gegen die Domgeistlichkeit, die sich hartnäckig gegen die Neuerungen stemmte. Zugleich ging Amsdorf gegen Auswüchse und Übertreibungen auf Seiten der Anhänger der Reformation vor. Großen Einfluss hatte er auf den Aufbau des evangelischen Kirchen- und Schullebens in Magdeburg. Unter seiner Aufsicht wurde die Johannisschule erst in das Augustinerkloster, dann in das Franziskanerkloster verlegt und dort zum berühmten Altstädtischen Gymnasium ausgebaut, einer der bedeutendsten Lateinschulen Mitteldeutschlands, an der 1534 mehr als 600 Schüler unterrichtet wurden. Der Magdeburger Superintendent wurde aufgrund seiner Erfahrung bei der Durchsetzung der Reformation mehrfach in deutsche Städte und Fürstentümer gebeten, um beim Aufbau evangelischer Kirchenstrukturen zu helfen, so in Schweinfurt, Einbeck, Goslar, Schmalkalden, Hagenau und Worms.

Als Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen den Naumburger Bischofsstuhl mit einem Vertreter der Reformation besetzen wollte, entschied er sich für Amsdorf. Er hoffte, dieser könne sich, gestählt durch die Auseinandersetzungen mit dem Magdeburger Domkapitel, gegen das Naumburger Domkapitel durchsetzen, das den altgläubigen Theologen Julius Pflug (1499-1564) zum Bischof gewählt hatte. Der Magdeburger Rat wollte Amsdorf nicht freigeben, musste sich aber beugen, und so wurde Nikolaus von Amsdorf am 20. Januar 1542 im Naumburger Dom von Martin Luther zum ersten evangelischen Bischof überhaupt eingeführt. Mit der Aufgabe, das Bistum Naumburg unter Kontrolle zu bringen, scheiterte er jedoch. Im Schmalkaldischen Krieg konnte Julius Pflug 1546 den Bischofsstuhl einnehmen. Amsdorf flüchtete und kehrte schließlich 1548 nach Magdeburg zurück. Ohne ein offizielles Amt zu bekleiden, gehörte er zu jenen Theologen, die das seit 1547 geächtete Magdeburg scharfzüngig verteidigten. Amsdorf erlebte die Belagerung von Magdeburg an der Seite seiner früheren Gemeinde mit und veröffentlichte Trostschriften für die Belagerten. 1552 wurde Amsdorf als Superintendent nach Eisenach berufen, wo er bis an sein Lebensende blieb.

Weiterführende Literatur:

Friedrich Hülße: Die Einführung der Reformation in der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1883, S. 89-107.

Hans Stille: Nikolaus von Amsdorf. Sein Leben bis zu seiner Einweisung als Bischof in Naumburg (1483-1542), Zeulenroda 1937.

Helmut Asmus: 1200 Jahre Magdeburg. Bd. 1. Die Jahre 805 bis 1631, Magdeburg 1999, S. 438-441.

Thomas Kaufmann: Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548-1551/2), Tübingen 2003, S. 13-38.

Lutz Miehe: Magdeburg im Zeitalter der Reformation (1517-1551), in: Matthias Puhle, Peter Petsch (Hrsg.): Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805-2005, Dössel 2005, S. 326-328.

Hans-Otto Schneider: Amsdorf als Statthalter Luthers in Magdeburg, in: Maren Ballerstedt, Gabriele Köster, Cornelia Poenicke (Hrsg.): Magdeburg und die Reformation. Teil 1. Eine Stadt folgt Martin Luther, Halle 2016, S. 113-127.

Transkription

Durchleuchtigster hochgeborner churfürst. Unser willige dinste sein ewern churfürstlichen gnadenn alletzeit zuvorn bereidt. Gnedigster churfürst und herr, nach dem das unüberwyntlich und ewigh worth Cristi myth seyner geweltigen chraft Gots almechtigen zu heyll unnd trost den sündern, selikeyt der selen und ewigen ehr des Hern, welchs ein zeytlangh besthethuet, itzt uber den sunnen schein, Godt sey gelobt, vornehmelich in ewir churf[ürstlichen] g[naden] stadt Wittenbergk gantz clar aufgangen und offinbar lauther geprediget, haben sunderlich die ersamen und vorsichtigenn eyngepfarten und gemeyne alhie zu sanct Ulrich auß grossem vorlangen, hitziger lybe unnd eynbrunstigem begehrte (wie auch sust bey uns und alle unser stadt inwonern) zum creftigen worthe Gots vortrawungh gesatzt, das sie in dem auch mehr und mehr grunthlich vorstendiget und heylsamer geweydet, einberechtigklich den achtbaren und hochgelerthen ern Niklause Amßtorff, licentiatenn, szo ferne men sulchs bey ewren churf[ürstlichen] g[naden] und yhme erhaltenn, zu eynem prediger erweleth. Domith aber sulch guth vornehment an keynem orthe gehindert, wir auch vornehmelich e[wer] churf[ürstlichen] g[naden] als eynen hochberümpten lyphaber zund fürderer des ewigen worts und schuldiger ehr Gots mith gebüerlicher beypflichtungh in frologkungh unsers gemüths vormergket, byttenn wyr myth gantz dinstlichem fleyse, e[wer] churf[ürstliche] g[nade] willen nicht alleyne der guten pfar, sunder vornehmelich zcur ehr Gots, uns und der gantzen stadt zu grünthlicher underrichtungh im ewigen worthe Gots zum wenigsten eyn jar langh g[ena]nten ern Niclause Amstorff alhy das worth Gots zu segen, auch das den andern predigern bey uns in yhme eyn zcyll gesatzt, gestatenn und wu mith er zu Wyttenbergk im thume begnadet ader sust erlanget, zu mehrer bequemlicher enthaltungh auch yhme zu folgen gnediglichen beschaffen laßen in dem mehrer gemeynschaft cristlicher eynikeyt bey Godt, dem almechtigen, der ewigen früchte zu gebrauchen erwarten. Wyr wollen es auch umb ewir churf[ürstlichen] g[naden] alletzeit ungesparts fleiß willig und gerne vordynen, bitten desses auch eyn gnedige zuvorlaßyge andtworth. Datum unther unser stadt secreth am sonnabende nach Marie Magdalene electe anno xxiiiio

 

Adresse:

Dem durchleuchtigstenn hochgebornn fürsten und hern, hern Frideriche, hertzogen zu Sachssen, des Heyligen Romischen Reychs ertzmarschalgkenn und churfürsten etc., lantgraven in Doringen und marggraven zu Meyssen, unserm gnedigstenn herenn.

Rückvermerk:

Rat zu Magdburg bitt[et] umb licentiat[en] Ambstorf zu ainem predig[er]

Zitiervorschlag

Matthias Donath, Ein Wittenberger Reformator für Magdeburg. Die Berufung des Nikolaus von Amsdorf zum Pfarrer der Ulrichskirche (1524), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=874 (11.12.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
874
Datierung
23.07.1524
Systematik 1
02.01.04 Fürsten
Systematik 2
Reformation
Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar
Signatur Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. H 1, fol. 9r-9v
Umfang
2 Seiten
Aktentitel
[…] 3. Der vonn Magdeburgk schreiben, dorinnen sie umb Ambsdorffen zu einen Prediger bitten […]
Beschreibung
Brief mit aufgedrücktem Siegel, dt., Tinte auf Papier, Rückseite: Adresse und Kanzleivermerk (16. Jh.)
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Teil einer Akte
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