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Magdeburger Spuren, Nr. 888

Die Gemeinde und der Rat der Stadt Magdeburg einigen sich auf zehn Artikel zur Einführung der Reformation in Magdeburg (sogenannte Artikel des Volkes).

Die Quelle

Die Quelle ist als Original im Ernestinischen Gesamtarchiv Weimar, Reg. H. p. 1, A. fol. 51 überliefert und außerdem Teil der Edition Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, welche Anfang des 20. Jahrhunderts von Emil Sehling begonnen und in insgesamt 23 Bänden bis 2017 von drei Herausgeberschaften fortgesetzt wurde. Nach Regionen geordnet wurden dort systematisch Quellen zu evangelischen Kirchenordnungen und damit auch zur Reformation zusammengetragen. Unter den gesammelten Dokumenten eines großen Gebiets, welches sich über das heutige Sachsen-Anhalt und Teile Thüringens und Sachsens erstreckt, werden die „Reformations-Artikel für Magdeburg“ gleich am Anfang – im Jahr 1524 – aufgeführt.[1]. Dadurch wird deutlich, dass Magdeburg zu den frühen Reformationszentren gehörte.

Die Quelle ist überschrieben mit „Articuli quos plebs Magdeburgensis suo senatui obtulit.“ Der lateinische Titel – übersetzt „Artikel, welche das Magdeburgische Volk seinem Rat angeboten /entgegengebracht hat“ – fasst die Absicht des Dokuments bereits grob zusammen. Sehling schreibt in seinem einleitenden Kommentar zu den magdeburgischen Quellen, dass er die Reformations-Artikel in „zeitgenössischer Handschrift im Ernestin. Gesammtarchiv zu Weimar“ vorgefunden hat.[2]

In zehn Artikeln fasste ein gewähltes Gremium reformatorische Ideen für Magdeburg zusammen und adressiert sie an den Rat. Das Dokument wurde augenscheinlich im direkten zeitlichen Zusammenhang zu einer Versammlung veröffentlicht und könnte als Urkunde ohne Rechtsanspruch eingeordnet werden. Es handelt sich um einen Forderungskatalog dieser Versammlung von Abgesandten an den Magdeburger Stadtrat.

Die Quelle wurde durch Emil Sehling auf den 22. Mai 1524 datiert, im Quellentext selbst heißt es: welche zusamen gekommen sein in der augustiner closter den negsten sontag nach pfingsten den mersten teil zu einem heer nach montage im 24. jar. Berechnet man die Kalendertage des Jahres 1524, so ergibt sich, dass der 22. Mai 1524 der Festtag Trinitatis, also genau eine Woche nach Pfingstsonntag war.[3] Allerdings spricht die Quelle auch davon, dass der größte Teil erst ab Montag zusammentrat (den mersten teil zu einem heer nach montage).

Um die Artikel des Volkes als historische Tatsache zu verifizieren, kann außerdem die Quelle Bericht des Möllenvogts herangezogen werden, der ebenfalls von einer Übergabe von Artikeln an den Rat schreibt: Diese hier eingelegte Artikel haben die Prediger und die gekohren Vohrstender von der gemein einem Radte der Altenstadt Magdeburgh ubergeben. Actum an der Mittwochen nach Trinitatis Anno 24. Desunt.[4] Am Seitenrand, wo der Bericht des Möllenvogts fortlaufend Datierungen enthält, steht „25. Mai“. Die Chronik des Möllenvogts hat wahrscheinlich außerdem eine Kopie der Artikel als Beilage enthalten, wie der Editionskommentar erwähnt.

Laut Artikeln des Volkes trafen sich die „Gekürten“ am Sonntag nach Pfingsten, Trinitatis (22.5.1524). Aber erst am Montag (23.5.1524) waren alle anwesend und berieten sich. Der Bericht des Möllenvogts wiederum erwähnt lediglich die Handlung der Übergabe dieses Dokuments an den Rat - am Mittwoch nach Trinitatis (25.5.1524). Diese Chronologie scheint schlüssig und die Erwähnung der Artikel in der Chronik des Möllenvogts verleiht den Geschehnissen einen zweiten historisch sicheren Ankerpunkt – umso glaubwürdiger, da der Möllenvogt dem gegnerischen Lager des Domkapitels angehörte.



[1] HAW, S. 597ff.

[2] Ebenda S. 446.

[3] Der Onlinerechner der Manuscripta Mediaevalia arbeitet nach Herrmann Grotefends „Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit“ von 1891–1898 und kann hier abgerufen werden: Zentralredaktion mittelalterlicher Handschriftenkataloge, Manuscripta Mediaevalia – Jahreskalender, Berlin 2022, <http://www.manuscripta-mediaevalia.de/gaeste/grotefend/tables/kalstart.htm> (26.09.2022).

[4] Historia Möllenvogt 1524/25, S. 145

Der Hintergrund

Den Ereignissen rund um die Artikel des Volkes gingen bereits Unruhen und schwelende Konflikte voraus – auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene. Thomas Kaufmann beschreibt z. B. für das Frühjahr 1521 bereits „erste Übergriffe auf Geistliche und die Nachricht einer angeblichen Verschwörung von 300 Personen gegen den Klerus (…). Der Magdeburger Rat setzte in dieser Phase zunächst auf die Unterdrückung der reformatorischen Bewegung.“[1] Drei Jahre später - 1524 – entstehen die Artikel des Volkes auf einer Versammlung auf Anordnung eben jenes Rats. Dies könnte sowohl auf die inzwischen erfolgte Durchsetzung der reformierten Lehre unter Ratsmitgliedern, aber auch auf ein Erstarken der Reformationsbewegung und daraufhin eine strategische Übernahme der reformierten Positionen durch den Rat hindeuten.

Magdeburg bemühte sich über lange Zeit, einen Rang als reichsfreie Stadt zu erlangen und sich vom Landesfürsten und Erzbischof zu lösen. Dies gelang Magdeburg zwar nicht, ist aber für die Bewertung der verschiedenen Konfliktschichten religiöser und politischer Natur von Relevanz. Teile des Rats entschlossen sich dazu, sich mit den gemäßigten evangelischen Theologen zusammenzutun und wollten so die Bewegung auch dazu nutzen, sich gegen das Domkapitel mit dem Erzbischof durchzusetzen.[2] Es überschnitten sich also verschiedene Konfliktfelder - die konfessionellen und weltlich-politischen zwischen Erzbischof, Stadt und Kaiser.

Auf städtischer Ebene gab es nicht nur eine kohärente politische Gruppierung. Neben der Ebene der Ratsmannen hatten auch die Innungen und hier im Besonderen die Innungsmeister erheblichen Einfluss: In der Quelle werden sie genannt – sowohl als Multiplikatoren für die eigene Sache, als auch im Ton der Distanzierung (begern sollen alle Innungen abezuthun).

Schlussendlich ergibt sich ein diverses Bild an beteiligten Gruppierungen im frühreformatorischen Magdeburg. Aus der Quelle heraus waren am inhaltlichen Diskussionsprozess zu den Artikeln vor allem reformatorisch eingestellte Prediger (darneben den wirdigen, hochgelarten doctor Melcher augustiner ordens neben den andern 7 predigern der evangelischen lere) und gewählte Gemeindemitglieder beteiligt. Dr. Melchior Mirisch war der Prior des Augustinerklosters. Als Adressaten werden in erster Linie der Rat und daneben auch die Innungen genannt. Dies bedeutet, dass die Gruppen der neuen evangelischen Lehre ihre (religiösen) Forderungen über den stadtpolitischen Weg durchsetzen wollten.

Wer die diskutierten Artikel in ihre endgültige Form brachte oder ob dies ein breit abgestimmtes Schriftstück war, bleibt unklar. Sehling fügte im Kommentar hinzu, dass es mehr als zehn Artikel gegeben haben soll, es jedoch keinen Nachweis darüber gäbe.[3] Am Ende des Dokuments wird erwähnt: Uber diese angezaigte artikel haben die gemeinde dem rat der alten stat Magdeburg noch etzlich ander artikel in welchen sie begern sollen alle innungen abezuthun. Diese Passage deutet also auch auf eine größere Zahl Artikel hin, die gegebenenfalls weitere inhaltliche Ziele hatten und besonders kritisch den Innungen gegenüber gewesen sein könnten. Die lateinische Überschrift und mehrere Textstellen machen deutlich, dass der Magdeburger Stadtrat der eigentliche Adressat der Artikel war, allerdings auch die Innungen mit der Bitte oder Forderung zur Weiterleitung angesprochen wurden (das man von etlichen innung vier fordern solde und diese hernach geschrieben artikel mit irn innigsbrudern verbringen).

Im Hauptteil, den Artikeln, geht es inhaltlich um theologische Grundsätze, kirchliche Organisation und im Besonderen den Umgang mit den Besitztümern und Geldern der kirchlichen Institutionen.

Die Artikel leiten Werte wie glaube liebe gerechtigkeit und das Vertrauen in Gottes eigenständiges Handeln als Grundlagen her. Sie lehnen Gewalt und Chaos ab (nicht mit buchen und drauen und nit mit aufrur und ungeduld zu handeln) und unterstreichen den Vorrang der Bibel als einziger Schriftquelle des Glaubens, lehnen also die ‚Tradition‘ als weiterer Basis der Theologie ab: Das wort Gots nicht kann leiden zusatz oder abbruch. Als weitere zentrale Veränderung der Liturgie wird hier die Einführung der Kommunion in beiderlei Gestalt gefordert (Vgl. „Zum virden.“).

Essentiell für die auch finanzielle Organisation der Kirche werden zwei Änderungen erbeten: Erstens sollen Opfer-, Stiftungs- oder Gedächtnismessen abgeschafft werden. Messen seien ein testament in Christo, in welchem er uns beschaiden hat vergnugung aller unser freude, welche er uns erworben und befestigt hat mit seinem tod und blute (…) (Vgl. „Zum funften“). Dies ist eine wichtige theologische Änderung, da auf diese Weise exklusive Zugangswege zur göttlichen Gnade, welche nur Betuchten offenstanden, abgeschafft werden. Die bereits gesammelten Gelder sollten in den gemeinen casten geschlagen werden, aus dem z.B. Bettler ernährt werden sollten („Zum funften“).

Zweitens sollen die Klöster sukzessive aufgelöst und die dazugehörigen Reichtümer und Einkommen neben der Versorgung der im Kloster Verbleibenden ebenfalls in einen Gemeindekasten geschlagen werden. Aus diesem sollten dann auch Pfarrer, Küster, Lehrer und Arme versorgt werden (Vgl. „Zum neunden“). Den Mönchen und Nonnen wird eingeräumt, das Kloster zu verlassen, sall frei heraus gehen („Zum sibenden“), während es den Stiften für die Zukunft verboten wird, Neue aufzunehmen: das sie furtmehr kein schwester, auch die vorgeschrieben monch kein bruder aufnemen sollen („Zum achten“).

Die Forderungen nach einer Kommunion mit Brot und Wein (Leib und Blut) für die Gemeinde, die Egalisierung der Gemeindemitglieder beim Zugang zur Gnade und die „Enteignung“ der Kirchenoberen und Steuerung der kirchlichen Finanzen über die Gemeinde stoßen allesamt in die gleiche Richtung: Es soll ein Hierarchieabbau erfolgen, was vom Einfluss der einfachen Gemeindemitglieder in dieser Versammlung zeugt. So sind z. B. die theologischen Forderungen nach Abschaffung der Stifts- und Seelenmessen gleichzeitig auch eine direkte politische Forderung der Machtbegrenzung der Pfarrer. Das gleiche gilt für die Berufung auf die Heilige Schrift als einziger Basis, welche auch von den einfachen Gemeindemitgliedern verstanden und kontrolliert werden kann, wie dies z. B. die Überprüfung des richtigen (reformierten) Predigens bei Priestern beinhaltet (Vgl. „Zum sechsten“).



[1] Kaufmann, Ende der Reformation, S. 23.

[2] Köster/ Elsner, Gegen Kaiser und Papst, S. 17

[3] HAW S. 446

Bedeutung der Quelle

Die Ziele der Gruppierungen sind teilweise nur spekulativ zu erschließen: Während den Gemeindemitgliedern und Predigern offensichtlich eine Umstrukturierung der Kirchgemeinden in finanzieller und hierarchischer Sicht wichtig waren und sie diese Forderungen mit einer radikalen Berufung auf die Bibel begründeten, bleiben die Ziele des Rats aus der Quelle heraus unklar. Die Prediger selbst hatten im Gegensatz zu den gewählten Gemeindemitgliedern sicherlich außerdem ein übergreifendes Interesse daran, die neuen Ideen durchzusetzen.

Warum sich der Rat zur Einsetzung dieses Beratungsgremiums entschied, wird aus der Quelle nicht ersichtlich. Es könnte als Mittel zur Beendigung von Chaos und Unruhen in der Stadt gedacht gewesen sein, um sich als Rat opportun auf die sich durchsetzende Seite des Geschehens zu stellen oder aber zur politischen Distanzierung gegen den Erzbischof. Auch wenn der Rat in der Quelle selbst nicht als aktiver Teilnehmer der Beratung auftritt, kann er durch sein Wirken als Beschleuniger und Verstärker der reformatorischen Prozesse gelten. Damit hatte sich seine Rolle 1524 also bereits grundlegend verändert, da er zuvor die frühreformatorischen Bewegungen noch unterdrücken wollte.[1]

Es wird deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt vorrangig innerstädtische Parteien beteiligt waren und von reformatorischen Predigern (teilweise von Außerhalb) Unterstützung erhielten.

In den Forderungen der Artikel des Volkes selbst verschränken sich bereits die kirchliche und weltliche Handlungsebene. Zwar nehmen die Artikel Bezug auf wichtige theologische Konzepte der Reformation, wie die Bedeutung der Bibel, den Laienkelch, die Frage nach der Erlangung der Gnade, allerdings stehen eher die praktischen Antworten auf diese theologischen Fragen im Vordergrund. Die Artikel des Volkes hätten somit durch ihre Forderungen den praktischen Alltag, die Struktur und Finanzen der Gemeinden verändert. Die Durchsetzung sollte durch den Rat und nicht kirchliche Organe erwirkt werden.



[1] Kaufmann, Ende der Reformation, S. 23.

Weiterführende Literatur

Peter Blickle: Gemeindereformation: Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1987. <https://doi.org/10.1524/9783486824247> (zuletzt eingesehen: 26.9.2022).

Die Historia des Möllenvogts Sebastian Langhans, 1524/25, in: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg, Bd. 2, bearb. von Gustav Hertel, Leipzig 1899, S. 143-208. [Historia Möllenvogt]

Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 2022. < https://www.haw.uni-heidelberg.de/forschung/forschungsstellen/kirchenordnungen.de.html> (zuletzt eingesehen 19.10.2022). [HAW]

Thomas Kaufmann: Das Ende der Reformation: Magdeburgs "Herrgotts Kanzlei" (1548 - 1551/2), Tübingen 2003.

Gabriele Köster/Tobias von Elsner (Hg.): Gegen Kaiser und Papst: Magdeburg und die Reformation: Ausstellungsführer, 1. Auflage, Magdeburg 2017.

Arndt Reitemeyer: Die Pfarrgemeinde im späten Mittelalter, in: Die Pfarrei im späten Mittelalter, hg. v. Enno Bünz/Gerhard Fouquet, Ostfildern 2013, S. 341-375.

Michael Scholz: Stadtherr, Rat und Geistlichkeit – Stadtverfassung und Sakraltopographie in Magdeburg am Vorabend der Reformation, in: Magdeburg und die Reformation. Teil 1: Eine Stadt folgt Martin Luther, hg. v. Maren Ballerstedt/Gabriele Köster/Cornelia Poenicke, Halle (Saale) 2016, S. 57-80.

Transkription

Articuli quos plebs Magdeburgensis suo senatui obtulit.

 

Zum ersten, nachdem mal als sich der ersame rath mit der gemein geredt hat und bewilligt, das sie aus itzlicher pfar sollen kiesen menner, die das beste unter der gemein handeln, uf das die lere Christi und das heilige evangelium einen vorgang hette, welchs also gescheen und haben etzliche personen erwelet, welche zusamen gekomen sein in der Augustiner closter den negsten sontag nach pfingsten den mersten teil zu einem heer nach montage im 24. jar und einen rathschlag gehalden und darneben den wirdigen, hochgelarten doctor Melcher augustiner ordens neben den andern 7 predigern der evangelischen lere etliche artikel darauf sie sich alle zusamen beraten haben und irn rath mitgetheilt, als wie hernach volget.

Zum ersten hat er von aller wegen gebeten und vermanet, solchen handel mit der forcht gots, christlicher lieb und einigkeit und frundschaft angefangen werde, wan das wort gots will nicht mit buchen und drauen gefurdet werden. Auch gehoret christen nit mit aufrur und ungeduld zu handeln, sunder mit den wappen, da Paulus von saget, glaube liebe gerechtigkeit und sachen die ere gots seligkeit der seeln und ausbreitung gemeines gotlichs worts und nicht eigenwillen und muth.

Zum andern, das man von etlichen innung vier fordern solde und dise hernach geschriben artikel mit irn innigsbrudern verbringen, von ine fordern ein antwort ab sie auch bei der handlung der evangelischen lere und vorgelegten artikeln stahen wollen und ab sich imands desselben welde wegern, den sall man nit zu dem wort gots dringen und das wort gots selben lassen handeln wan got waiss woll die seinen und der vater weiss wol das Christi gehört.

Zum dritten sintemal, das einige wort gots uber alle ding ist uber alle uberkeit in himel und in erden und alle ding ordiniret und schicket und nicht bei sich leiden kann menschenlere oder vernunft, welche doch finsternuss ist, so ist unser christliche meinung und vleissig bite an einen wolweisen rath aufzurichten, was das wort gots fordert und mitbrengt und niderlegen etlich artikl hernachfolgende und die andern mit limpflicher zeit mugen angezaichent werden.

Zum virden. Das wort gots nicht kan leiden zusatz ader abbruch. So ist unser andechtige beger, das man die mess woll halden nach evangelischer ler, als Christus der her eingesazt hat und seine aposteln und die heiligen in der christlichen kirchen so lange gebraucht und gehalden haben, uf das das selbige testament dem christlichen volk, die das sein begern, von irn pfarrern capellanen und selwartern, uf welche zeit und tage sie das begerende sein, mug geraicht werden under beiderlei gestalt, ausgeschlossen alle menschlich insetzung und abbruch, die der heiligen schrift nit gleichmessig.

Zum funften volget aus diesen vorgeschribenen artikeln, dieweil die mess kein opfer ist als den felschlichen bisher zu halden und gepredigt worden ist, sunder ein testament in Christo, in welchem er uns beschaiden hat vergnugung aller unser freude, welche er uns erworben und befestigt hat mit seinem tod und blute, darumb sollen aufhorn alle opfer pfaffen in der pfarkirchen und klostern und ire brif und rente der fundation in den gemeinen casten verordent und geleget werden, aus welchem sie ehrlichen und löblichen ir leben lang sollen besorgt werden und weiter ir lehen soll nimand verlehent werden, es sei den sach, das sie konnden nach der evangelischen einsetzung mess halden. Auch sollen und mussen aufhorn alle opfer und messen und jar gedechtnis vor die seelen und dieselben stiftung rente und testament in den gemeinen casten geschlagen werden mit irn haubtsumen und haubtbrifen, dieweil das meiste teil leseleut fremde betler und buben darvon genert und gespaist werden.

Zum sechsten soll verboten werden alle die obersten aus allen clostern in der alden stat auf das rathaus und ine angesagt werden, das sie sollen ufhorn von disen opfern messen und das heilige evangelium predigen lauter und rein an menschen zusetzung, als in den andern von den evangelischen predigern gethan wirt oder ganz und gar stil schweigen, uf das nit einer baue und die andern brechen und das arme volk in irthumb gefurt werde. Wue sie aber nicht schweigen werden, so wird man dazu gedenken, das sie schweigen mussen. Ist aber sache, das sie falsch wurden predigen, sall man bestellen menner, die ine zuhorn und iren irthumb ausschreiben und mit der schrift dawider setzen und sie sollen gedrungen werden zu der widerrufung, dasselbige sall widerumb ine auch freisten.

Zum sibenden sollen sie ire closter frei aufthun und ihre kappen und heuchlerei leben weg thun und wer sich gut gewissen macht, das er sein sele darinne nicht selig machen kan, sall frei heraus gehen, welcher aber darinnen bleiben will, den soll man zimblichen besorgen und sein leben lang und die ubern guter in den gemeinen kasten legen, uf das es nit entfrembdet, sunder bewart werde. So soll der ersame rat von in fordern ir jaren tarmin und daraus lassen verzaichen alle ire clenodia rente und einkomen und was in irem vorrat keller, kochen und auf den sullern, und das darinne ein gut bequeme ordnung muge gemacht werden, wurzu man das mit der zeit gebrauchen sall.

Zum achten gleicherweis soll man handeln mit den neuen clostern. Welche ein recht gut gewissen machen, darinne zu bleiben, mit vordamnus der selen, mogen sie balde heraus gahn, den andern aber soll man ein monat lang das evangelium predigen. Darnach mogen sie sich bedenken und einen freien ker geben daraus zu gehen oder darinne zu bleiben. Die darinne bleiben, soll man zimlich besorgen ir leben lang, sunst sall man in allen dingen mit ine handeln, als in den vorigen artikeln mit den monchen verzeichent ist, mit disem anhange, das sie furtmehr kein schwester, auch die vorgeschriben monch keine bruder aufnemen sollen und vorfuren mit argelist und die bosen manchfeldigen secten in der christlichen kirchen mugen zutrennet werden.

Zum neunden ist verordent ein gemeiner kasten, darinne fallen sollen die uber bleibenden vorgeschrieben guter der geistlickeit und der stiftungen, selmessen, der jar gedechtnussen, der spende, der bruderschaften, item die testament und almusen der christgleubigen menschen. Auch sollen vorordent werden in allen pfarren fromme menner, burgermeister, rathleute als in der wurdigen stat Nurmberg und in andern enden mehr verordent seint, solch almusen von christlichen leuten den armen cristen aus bruderlicher liebe zu gut und das lohn von got nemen.

Zum zehenden soll man aus disen kasten zimlichen und erlichen zum ersten die pfarhern und ire capellan und ire prediger, so ferne sie das evangelium recht predigen und mit gutem leben und exempeln beweisen und das volk nicht ergern. Ist aber imands unter ine, der das nicht thun wolde, so sol man pfarner erwelen, die dasselb gerne thun. Ist aber auch imands unter ine, den die gnade der keuschheit nicht gegeben were, moge frei ein ehelich weibe nemen. Denen sollen sie allen iren pfarkindern das heilige sacrament umb gots willen geben und raichen und alles was in noth ist, also begraben, breute sechs wochen einleiten etc. Auch sollen daraus versorgt werden schulmeistern, custer und ander diner der kirchen, item die armen, spitaln und ire diner, haus arme leute, auch arme hantwerksleute, witwen und weisen und einheimische betler, die des raths zaichen tragen sollen. Aber alle die andern frembden betler abweisen, es sei dan das man imand aus christlicher lieb etwas mitteiln wolte, welchs alles gescheen solt durch die erwelten darzu gekorn und vorstende des kastens, welchs in bequemer zeit dem rath und gemein oder irn geschickten denen gute rechenschaft thun.

Alle dise artikel haben wir erwelten vor die ganze gemein mit rath gnug aller unser prediger bedacht, gehandelt und aufgeschriben und alle mit der ganzen gemein gesint sein leib und leben daruber zu lassen, so es noth und die ere gots wurde fordern, wan solche artikel sein gleichmessig und gegrundet in der heiligen schrift. Auch vermeldet es keys. mandats, welches gebend das evangelium recht zu predigen und darnach zu leben und sein anzaigen die liebe gots und des negsten.

Darumb bittet die ganz gemein ganz demütiglich und vleissiglich den erbarn weisen rat dieser stat, zu solchen dingen die ere gots und seins gotlichen worts und seligkeit der sein und liebe und notturft des negsten belangende wolle behelflichsein, das dise artikel aufs allererst aufgerichtet wurden und in ir wesen gestalt neben uns mochtet gehanthabt werden. Das will ein ganze gemein umb den ersamen rath in schuldiger gehorsamer untertenigkeit widerumb erkennen.

Uber dise angezaigte artikel haben die gemeinde dem rat der alten stat Magdeburg noch etzlich ander artikel in welchen sie begern sollen alle Innungen abezuthun.

Zitiervorschlag

Katharina Simowitsch, Der Rat stellt sich an die Spitze der Reformationsbewegung. Die Artikel des Volkes (1524), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=888 (27.04.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
888
Datierung
22.05.1524
Systematik 1
05 Pfarreien, Klöster und Hospitäler der Altstadt
Systematik 2
Reformation
Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar
Signatur Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. H 1, fol. 57r-60v
Umfang
8 Seiten
Edition
Articuli quos plebs Magdeburgensis suo senatui obtulit, 1524, in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 2: Das Erzbistum Magdeburg und das Bistum Halberstadt, hg. von Emil Sehling, Leipzig 1904, S. 448f.
Aktentitel
[…] 3. Der vonn Magdeburgk schreiben, dorinnen sie umb Ambsdorffen zu einen Prediger bitten […]
Beschreibung
Abschrift, ohne Besiegelung, dt., Tinte auf Papier
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