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Magdeburger Spuren, Nr. 13

Supplik [Bittschrift] des Daniel Wüstehoff, Bürger der Altstadt Magdeburg, an den Rat zu Braunschweig wegen seiner Klagen gegen Stefan Paris, Braunschweig, 5. Mai 1579.

Die Quelle

Das unter der Signatur „B IV 15b: 12“ im Stadtarchiv Braunschweig aufbewahrte Dokument ist Teil einer Akte mit dem Titel „Proceß wider Steffan Paris aus La Rochelle wegen Seeraubes, verübt an Bürgern Braunschweigs, Lübecks, Hamburgs und Magdeburgs“ und einer Laufzeit von 1578 bis 1583.

Neben der hier vorgestellten Klageschrift des Magdeburger Bürgers Daniel Wüstehoff an den Rat der Stadt Braunschweig, die am 5. Mai 1579 in Braunschweig niedergeschrieben wurde und am 8. Mai beim Stadtgericht vorlag, enthält die Akte u. a. Gerichtsverfügungen Braunschweigs gegen den in Braunschweig inhaftierten Stefan Paris und ein Verfügung über die Kaution für den Beschuldigten.

Das Schreiben Wüstehoffs ist mit Tinte in einer sauber ausgeführten deutschen Kurrentschrift auf Papier geschrieben. Sie beginnt auf der Vorderseite von Blatt 168, umfasst 5 Seiten und endet mit der eigenhändigen Unterschrift des Verfassers auf der Vorderseite von Blatt 170. Der Brief besteht aus einem Anschreiben und einem Verzeichnis der entstandenen Verluste.

Seeräuberei und Hanse

Seeräuberei und Hanse gehören nicht nur in der durch die Legenden um den berühmtesten deutschen Seeräuber Klaus Störtebeker geprägten Verklärung der mittelalterlichen Geschichte des Ostseeraums zusammen, sondern waren tatsächlich eng miteinander verbunden. Hansestädte waren sowohl Opfer als auch Auftraggeber von Seeräubern. Ein bekanntes Beispiel für die Unterstützung von Piraten durch die Hanse ist der Hansisch-Englische Krieg von 1469 bis 1474, der als ein sogenannter Kaperkrieg in die Geschichte einging. Wegen der ständigen Einschränkungen der Privilegien der Hanse im Handel mit England erklärten die wendischen und preußischen Städte der Hanse England den Krieg. Die kriegführenden Parteien versuchten, nicht nur die gegnerischen Kriegsflotten zu besiegen, sondern vor allem die gegnerische Handelsschifffahrt zu stören. Vor allem im Ärmelkanal waren Piraten unterwegs, die einen Kaperbrief der Hansestädte vorweisen konnten. Ein Kaperbrief galt allerdings nur in Kriegszeiten. Schlossen die Gegner Frieden, wurden aus den verbündeten Freibeutern schnell, gesetzlose Verbrecher, die man verfolgte und – wenn man ihrer habhaft wurde – verurteilte.

Handelsschiffe der Hansestädte fuhren auch nach Südeuropa und konnten auf dem Weg dorthin – hier wohl im Golf von Biskaya – Opfer von Piraten werden. In vorgestellten Fall handelte es sich um Kaperfahrten, die im Auftrag eines Bündnisses der hugenottischen Provinzen Südfrankreichs durchgeführt wurden. Ihre Ziele waren nicht nur die unmittelbaren katholischen Gegner also französische, spanische und portugiesische Schiffe, sondern auch die Handelspartner ihrer Feinde.

Die Bittschrift

In Braunschweig saß im Jahr 1579 eine gewisser Stephan Pariß, der geburtt auß Roschel in Frangreich, – gemeint war die als Freibeuterstützpunkt berüchtigte südwestfranzösische Hafenstadt La Rochelle – in Gefangenschaft des Rates. Der Magdeburger Händler Daniel Wüstehoff hatte davon erfahren und brachte nun seine Klage vor dem Braunschweiger Stadtgericht vor. Er warf Stephan Paris vor, die „Rote Rose“, ein Schiff unter dem Kommando des Hermann von Dutten aus Lübeck, im Frühjahr 1575 auf dem Weg von Hamburg nach Lissabon durch sein raubschiff unndt darin verordtnete sehreuber mitt gewalt angegriffen undt alles, so darin gewesen, spolejrett unndt entfrembdett hatt. Diese Aussage lässt offen, ob Paris selber als Seeräuber agierte, oder nur der Eigentümer eines Schiffes war, mit dem Piraten auf Kaperfahrt gingen. Allerdings nennt Wüstehoff ihn weiter unten im Text des raubschiffs gewesenen capiten.

Dabei wurde nicht nur die Fracht, sondern das ganze Schiff geraubt und ein Besatzungsmitglied erschossen. Die Hamburger Besatzung und die als Passagiere mitreisenden Händler wurden in einer Barke ausgesetzt und konnten sich nach Lissabon retten.  Wüstehoff betonte, dass er durch dieses Verbrechen in merglichen unverwindtlichen schaden […] gerathen undt nuhn eine lange zeitt das meine mitt beschwerung müssen entberen.

Deshalb nutzte er den Umstand, dass Paris durch Eberdt Luetkens in hafft gebracht und nun zur Verantwortung gezogen werden sollte, um sein klaglibel in bestendigster form mit gnugsamer certification vorzubringen. Er hoffte, dass man den Angeklagten in gefenglicher vorwahrung festiglich behalten undt ohne [sein] vorwissen undt beteilligung durch keinerley mittel zur entledigung kommen lassen. Man sollte Paris also nicht ohne seine Zustimmung freilassen. Eine Klageschrift wollte er nachreichen.

Auf einem beigefügten Zettel listete der Magdeburger die Verluste auf, die ihm und seinen beiden Handelspartnern entstanden waren und bezifferte ihren Wert. Insgesamt machte er einen Schaden von rund 2.050 Talern geltend. Unter den verlorenen Waren befanden sich ein Fass und eine große Kiste mit Messern aus Nürnberg sowie große Mengen an Tuchen, im Original als Walchomer bzw. Colichzer dwelcke benannt. In der Literatur werden diese Bezeichnungen als Zwillich gedeutet, der in Wilkomir (heute: Ukmergė, Stadt im Osten Litauens) bzw. in Kalisch (heute: Kalisz, Stadt in der Woiwodschaft Großpolen) gefertigt wurde.[1] Weiter büßte der Magdeburger offenbar Glasperlen, (Schieß-)Pulver, und (Kanonen-) Kugeln ein.

Ob Daniel Wüstehoff für seinen Verlust je eine Entschädigung erhielt, bleibt im Dunkeln. Der mutmaßliche Piratenkapitän Stefan Paris jedenfalls konnte sich durch Flucht aus seinem Braunschweiger Gefängnis einer möglichen Verurteilung entziehen.



[1] Mack, Heinrich, Stefan Paris. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich, der Hanse und den Niederlanden gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichtsblätter Jg. 1896, Leipzig 1897, S. 91-152, hier S. 92. Für weitere Hinweise zu den Gütern der Frachtliste durch die Benutzer der Magdeburger Spuren wäre der Autor sehr dankbar.

Bedeutung der Quelle

Wüstehoffs Bittschrift zeigt den Magdeburger Händler als Teil eines internationalen Netzwerkes. Messer aus Nürnberg wurden über Hamburg nach Portugal geliefert und vielleicht – aber darüber kann nur spekuliert werden – fanden sie über Lissabon sogar ihren Weg in die Neue Welt. Ebenso handelte der Magdeburger mit Tuchen aus Ost- bzw. Nordosteuropa, die er gleichfalls nach Lissabon verschiffen ließ.

Das vorgestellte Dokument trägt dazu bei, Magdeburgs Rolle als Drehscheibe im internationalen Handel zu erhellen. Außerdem zeigt es, dass auch im 16. Jahrhundert scheinbar ferne Konflikte, hier die französischen Religionskriege, Einfluss auf das Leben der Magdeburger hatten.

Weiterführende Literatur:

- Puhle, Matthias, Die Vitalienbrüder: Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit. 2. Auflage. Frankfurt am Main 1994.

- Mack, Heinrich, Stefan Paris. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich, der Hanse und den Niederlanden gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichtsblätter Jg. 1896, Leipzig 1897, S. 91–152.

Transkription

Ehrnveste, erbare, hoch- unndt wolweise, grosgunstige, liebe herren,

neben erbietung meiner ganz willigen unndt unverdrossene dinste kann ich e[uer] ehrn unndt e[uer] w[eisen] aus dringender ursachen klagende nicht vorenthalten, das anno der minderzahl funff unndt siebenzig vor erschienenen vier jahren Stephan Pariß, der geburtt auß Roschel in Frangreich, so iziger zeitt in e[ure] e[hrbaren] w[eisen] jurisdiction gefenglich gehalten wirdt, mir ettliche guter, so inligende vorzeichnett, aus einem schiff, welches von mir unndt andern vornehmen redtlichen leuten mit wahren baladen undt Hermann von Dutten, aus Lübeck bürtig, nach Lissebohn damitt zu segeln commendierett unndt bevohlen worden, durch sein raubschiff unndt darin verordtnete sehreuber mitt gewalt angegriffen undt alles, so darin gewesen, spolejrett unndt entfrembdett hatt. Die leutt, derer bey ein undt zwanzig darin gewesen, davon einer erschossen, ausgesezett undt in mangelung aller gebührlichen notturfft erberhmlich[1] undt mitt grosser gefahr flissen lassen. Wan dan solche freventliche thatt wider Godt, alle beschribene recht unndt billickeitt ist unndt ich dadurch in merglichen unverwindtlichen schaden, wie e[ure] e[hrbaren] w[eisen] zuerachten haben,[2] gerathen undt nuhn eine lange zeitt das meine mitt be-

 

[fol. 168v]

schwerung müssen entberen. Bin ich der zuversicht gegen e[ure] e[hrbaren] w[eisen] die herren werden ein herzliches misgefallen an dieser missethatt tragen unndt auch[3] nicht vordencken kunnen obgemelten reuber dazumahl des raubschiffs gewesenen capiten, so mir undt vielen redtlichen leuten wehe, gerichtlich zuverfolgen. Derwegen ich nicht unterlassen kunnen, nachdem ich in erfuhrung kommen, das er dermals eines auß gebuhrlicher straff undt vorhengnuß des gerechten zorn Gottes alhier von Eberdt Luetkens in hafft gebracht,[4] mich anher nicht ohne besondere beschwerung undt vorseumnuß zu begeben undt neben anderen seiner begangenen missethatt undt dibestals halben gegen e[ure] e[hrbaren] w[eisen] zu beklagen undt alle rechtliche notturfft gegen ihm vorzunehmen. Gelangett demnach an e[ure] e[hrbaren] w[eisen] als meinen gunstigen herren undt forderern meine ganz vleissige undt demutige bitte, die herren wollen ihn auff mein recht undt nothwendige klage in gefenglicher vorwahrung festiglich behalten undt ohne mein vorwissen undt beteilligung durch keinerley mittel zur entledigung kommen lassen. Dagegen bin ich erbotig euern erbaren hoch- undt wolwisen rath genugsame caution auffs sonderliche

 

[fol. 169r]

zu bestellen undt mein klaglibel in bestendigster form mit gnugsamer certification schrifftlichem undt mundtlichen beweiß, derer so mitt in dem entraubeten schiff gewesen undt diese freventliche thatt mitt trawrigen heizen undt beschwerung ansehen mussen gegen ihne einzuwenden. Der trostlichen zuvorsicht e[ure] e[hrbaren] w[eisen] werden in dem gunstlich geruhen undt meiner rechtmessigen klagen raum undt stadt geben undt hierauff einen guten bescheidt darumb ich zum vleissigste will gebeten haben, mittheilen. Solches neben meinen herren der alten stadt Magdeburgk e[ure] e[hrbaren] w[eisen] benagbarten freunden gegen die herren mitt aller gebuhrlichen danckba[rkeit] zuvorschulden bin ich stetz willig undt erbotig.

Datum in Braunschwig den 5. May a[nn]o 79.

E[ure] ehrn undt e[hrbaren] w[eisen] williger Daniel Wustenhoff, burger der alten stadt Magdeburgk.

 

[fol. 169v]

Den ehrntveststen erbaren hoch- undt wolweisen herren burgermeistern undt rathmannen der löblichen stadt Brunschwi8g meinen grosgunstigen herrn undt forderern.

 

P[ro]duct[um] in judicio 8. Maii A[nn]o [15]79.

 

[weitere Kanzleivermerke]

 

[fol. 170r]

A[nn]o [15]75 dehnn 23. aprillis vonn Hamborch auff Lisbonn vor mihr unnd meynem broder unnd Petter Luttkenns burger bynnenn Hamborch inn namhe Gottes geschiffet inn schiffer Hermann vonn Dutten umher neffen gschrewnn merck[5] wy volget.

No. 1          Ein groß vaß darynne 200 decker[6] Norennburgecke meßer ider decker zu 30 stuver - 187 ½ daler

No. 2          Eyne große kiste darynne 2 decker meßer ider 30 stuver; 9 thonickenn pulffer ider thonnneken holt 6 pund ider pund kosch 8 stuver - 15 daler 12;

[No. 3]        136 stucke Walchomer dwelcke kosch ider stucke 4 marck 14 ß – 331 daler 16

No. 4          Darynne 62 stucke Colichzer dwelcke

No. 5          36 stucke Colichzer dwelck

No. 6          36 stucke Colichzer dwelck

No. 7          34 stucke Colichzer dwelck

No. 8          37 stucke Colichzer dwelck

No. 9          44 stucke Colichzer dwelcke

No. 10        58 stucke Colichzer dwelcke

No. 11        41 stucke Colichzer dwelcke

beloffenn sich diße 348 stucke inn gelde, daß stucke 4 marck 4 ß – 739 daler 16

No. 12        Ein groß vaß darynne 128 Colichzer dwelcke, daß stucke tzu 4 m[arck] 4 ß – 272 daler

No. 13        Eynn kleynn vaskenn, darynne 453 pund Margretten Lutter gueth[7] kosch ider pund 29 ß – 410 d[aler] 17 gr

Eynn hupoveth[8] unnd 3 thonnenn myth kuglenn habenn gwogen 60 centener ider centtener 1 ½ daler – 90 daler

 

Suma – 2046 d[aler] 13 gr

 

Daniell Wustennhoffe, burger der alttenn stadt Magdeburch



[1] folgt durchgestrichen nich

[2] folgt durchgestrichen dadurch

[3] über die Zeile geschrieben

[4] folgt durchgestrichen nicht

[5] Lesung unsicher. Vielleicht die Bezeichnung des Schiffs.

[6] Decher, auch Decker = 10 Stück (Eduard Döring: Handbuch der Münz-, Wechsel-, Maß- und Gewichtskunde. J. Hölscher, Koblenz 1862, S. 304)

[7] Eine Art von Glasperlen. Vgl. Mack, S. 91.

[8] Lesung unsicher, bezeichnet offenbar ein Gefäß für Kanonenkugeln.

Zitiervorschlag

Jens Kunze, Magdeburger Kaufleute Opfer von Seeräubern. Daniel Wüstehoff, Bürger der Altstadt Magdeburg, bezichtigt einen Kapitän aus Frankreich der Piraterie, https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=13 (24.04.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
13
Datierung
05.05.1579 - 20.05.1979
Systematik 1
06.11 andere Bürger und Einwohner
Systematik 2
Juristische Angelegenheiten
Fundort
Stadtarchiv Braunschweig
Signatur Fundort
Stadtarchiv Braunschweig, B IV 15b: 12, fol. 168r-170r
Enthält
Beilage: Aufstellung über den Schaden aus dem Seeraub des Stefan Paris an einem Schiff des Daniel Wüstehoff auf der Fahrt von Hamburg nach Lissabon ab dem 23. April 1575.
Aktentitel
Proceß wider Steffan Paris aus La Rochelle wegen Seeraubes, verübt an Bürgern Braunschweigs, Lübecks, Hamburgs und Magdeburgs
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