Magdeburger Spuren, Nr. 7
Otto von Guericke ("Otto Gericke") bittet den Rat zu Braunschweig um Zahlung fälliger Zinsen in Höhe von 72,5 Reichstalern aus dem Stipendium, das sein Großvater testamentarisch errichtet hat, um mit dem Geld Bücher zu kaufen und sein Studium fortsetzen zu können, Magdeburg, 25. Juni 1625.
Quelle
Die im Stadtarchiv Braunschweig unter der Signatur „B IV 2g: 11“ aufbewahrte Akte mit dem Titel „Schreiben an den Rat aus Magdeburg“ und einer Laufzeit von 1557 bis 1671 enthält neben zahlreichen anderen Dokumenten auch einen Brief von Otto von Guericke an den Rat der Stadt Braunschweig.
Das eigenhändig (oder durch einen Kanzleisekretär?) mit Tinte auf Papier geschriebene Dokument ist mit einem aufgedrückten Sekretsiegel versehen und in einer sauber ausgeführten deutschen Kurrentschrift abgefasst, wobei für lateinische Begriffe eine humanistische Kursive verwendet wurde.
Ein früherer archivischer Vermerk datiert das Stück irrtümlich auf „1635“, während das Original die Jahreszahl 1625 ausweist.
Zur Person
Otto von Guericke, 1602 geboren, hat sein Studium 1617 an der Universität Leipzig aufgenommen und damit eine der ältesten, bereits 1409 gegründeten Universitäten des Reiches frequentiert. Dort absolvierte er zunächst bis 1619 ein Grundstudium an der Artistenfakultät. Das Immatrikulationsalter von 15 Jahren war in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich. Es war durchaus üblich, dass Jugendliche an die Universität gingen und dort zunächst vorbereitende Kurse belegten, die eher fortgeschrittenen Schulstoff als schon die hohe Wissenschaft vermittelten. Der Übergang von der Schule zur Universität war ein fließender.
1620 wechselte Otto erstmals den Studienort und ging an die Hohe Schule zu Helmstedt, die 1576 als lutherische Landesuniversität für die welfischen Herzogtümer gegründet wurde, aber auch viele Studenten aus dem Erzstift Magdeburg anzog. 1621/22 finden wir ihn in Jena, nun schon als Student der Jurisprudenz, also an einer der drei höheren Fakultäten. Jena war ebenfalls eine lutherische Neugründung und diente als Landesuniversität für das ernestinische Sachsen. Sie war die Nachfolgeeinrichtung für das den Ernestinern im Schmalkaldischen Krieg verloren gegangene Wittenberg. Schließlich wandte sich Otto 1623/24 von Thüringen in die Niederlande und frequentierte die berühmte Universität Leiden, eine der ältesten Hochschulen Westeuropas, wo er neben Jura auch Mathematik und Festungsbaukunst studierte. Von einer Studienreise nach England und Frankreich kehrte er am 30. November 1624 nach Magdeburg zurück. Mit Erfahrungen aus vier Studienorten sowie den Eindrücken einer kleinen internationalen „Kavalierstour“ zählte Otto von Guericke nun zu den am besten ausgebildeten jungen Männern seiner Zeit.
Im Jahr 1626 wurde er in den Magdeburger Rat aufgenommen und im September 1626 heiratete er Margarethe Alemann.
Aussage und Einordnung der Quelle
Der neu entdeckte Brief belegt, dass sich Otto von Guericke am 25. Juni 1625 in Magdeburg aufhielt und sich wohl noch mit dem Ziel trug, weiter zu studieren. Von der Fortsetzung seiner Studien, für die er das Stipendium benötigte, schreibt er dem Braunschweiger Rat. Es stellt sich so dar, als sei seine Studienfinanzierung ins Stocken geraten. Guericke bat nämlich in Braunschweig nicht etwa erstmals um Geld, sondern wohl eher zum letzten Male. Otto schreibt, dass er dem Braunschweiger Rat durch früheren Schriftverkehr als Stipendiat bekannt sei („bin ich pro communicatione designationis“). Er nimmt sogar auf eine Aufstellung Bezug, die wohl Auskunft darüber gab, wie lange er das Stipendium aus dem Erbe seines Großvaters bereits bezogen hatte. Leider ist diese „bey geschloßener copia“, also eine Anlage, die dem Brief beilag, heute nicht mehr erhalten und dürfte wohl unauffindbar bleiben. Leider konnten bisher weder das Testament des Christoph von Zweydorff (1547–1602), der 1602, also im Jahr von Ottos Geburt verstarb, noch Amtsbücher oder Akten des Rates über die Verwaltung der Testamentsgelder aufgefunden werden.
Ein vorsichtiger Vergleich mit anderen lutherischen Stipendienstiftungen aus den Jahrzehnten um 1600 lässt folgende Aussagen zu:
Erstens war es für wohlhabende Lutheraner um 1600 geradezu typisch, als Teil ihrer letztwilligen Verfügungen eine Stipendienstiftung zu errichten. Dies entsprach der großen Linie der Reformation. Statt im Testament mit Seelenmessen und anderer sogenannter Werkfrömmigkeit für das eigene Seelenheil vorzusorgen, hatte Luther empfohlen, auf die Gnade Gottes zu vertrauen und im Übrigen das Bildungswesen zu fördern. Natürlich war damit im konfessionellen Denken der Zeit lutherische Bildung gemeint, weshalb die Stipendienstiftungen in der Regel Bestimmungen enthielten, wonach die Stipendiaten nur Universitäten der eigenen Konfession beziehen durften.
Zweitens war es üblich, bei der Vergabe der Stipendien die eigene Verwandtschaft zu bevorzugen.
Und drittens wurden der Studienfortschritt der Stipendiaten auch damals schon genau überwacht, entweder, in dem man „Vertrauensdozenten“ an den Universitäten unterhielt oder indem man von den Stipendiaten selbst regelmäßige Berichte einforderte.
Für das Schreiben Otto von Guerickes, wäre also folgende Einordnung denkbar. Otto von Guericke bezog für einen unbekannten Zeitraum vor 1625 ein Stipendium aus dem Erbe seines Großvaters Christoph von Zweydorff, das der Brauschweiger Rat verwaltete und in zwei Halbjahrestranchen jeweils am 6. Januar und am 24. Juni auszahlte. Mit jährlich 72,5 Reichsthalern war dieses Stipendium sehr gut dotiert. Die Summe entsprach in etwa dem Jahreseinkommen eines Landpfarrers und liegt deutlich über vergleichbaren Stipendiensätzen. Es dürfte den Löwenanteil der Studienkosten Otto von Guerickes gedeckt haben, selbst wenn man in Anrechnung bringt, dass ein Magdeburger Patriziersohn gehobene Ansprüche hatte. Seit Januar 1625 hat Otto das Stipendium aber nicht mehr erhalten, weshalb er sich im Juni 1625 um eine Wiederaufnahme der Zahlungen bemühte.
Auffällig ist nun, dass das Ende der Zahlungen zeitlich genau mit Ottos Rückkehr nach Magdeburg zusammenfällt. Möglicherweise hatten die Braunschweiger die Zahlungen also einfach deshalb eingestellt, weil Otto sich nicht mehr an einer Universität aufhielt. Sollte dies zutreffen, dürfte auch sein Mahnschreiben, das er ja in Magdeburg aufgesetzt hatte, kaum etwas bewirkt haben. Nicht auszuschließen ist ferner, dass Ottos letzter Studienort Leiden auf Vorbehalte gestoßen war, da es sich bei der holländischen Universität um eine calvinistische Hochschule handelte.
Leider wissen wir nicht, ob und wie der Braunschweiger Rat auf Ottos Brief reagiert hat. Das Schreiben selbst hält lediglich den Hinweis bereit, dass es am 30. Juni in Braunschweig vorlegen hat. Mit Blick auf Ottos weitere Biographie steht die Vermutung im Raum, dass seine Versuche, noch einmal eine Studienfinanzierung zu erhalten, gescheitert sind. Jedenfalls hat er nicht noch einmal eine Universität bezogen, sondern ist im Folgejahr mit der Aufnahme in den Rat und seiner Heirat in eine neue Lebensphase eingetreten.
Bedeutung der Quelle
Das hier vorgestellte Dokument wurde im Rahmen des Projektes „Magdeburger Spuren“ neu aufgefunden und war Forschung zuvor unbekannt.
Es galt als ältestes Original Otto von Guerickes, bis im Mai 2021 ein genau vier Wochen älterer Brief aus der Universitätsbibliothek Leipzig entdeckt wurde (vgl. Magdeburger Spuren, Nr. 783).
Nur ein anderes Schreiben Otto von Guerickes datiert noch früher als diese beiden Stücke, doch ist es nicht im Original, sondern lediglich als zeitgenössische Abschrift überliefert. Dabei handelt es sich um einen am 12. Mai 1621 ebenfalls in Magdeburg aufgesetzten Brief der Vettern Hans und Otto Gericke. Sie baten darin bei der Lehnskanzlei der ernestinischen Herzöge in Weimar um Mitbelehnung für das Rittergut Allstedt in der Goldenen Aue. Dieses schon länger in Familienhand befindliche Rittergut besaß damals Matthias Gericke (um 1562–1524), ein Onkel Ottos. Das Schreiben sollte den beiden Magdeburger Cousins eventuelle Erbansprüche sichern, die vorher ihre Väter besessen hatten.
Transkription
[fol. 63r] [Archivische Vermerke][1]
„Ehrenveste, groß unndt hochachtbare, hochgelarte, hochweise herren burgermeister und rahtmanne der stadt Brau[n]schweig, e[uer] e[hrenveste] hochachtbaark[eiten], hochgelarte, gunsten unndt hochweisheiten seindt meine willigste, gefließene dienste in ungesparten vleis nach besten vormögen stets bevoren. Insonders großgönstige herren unndt hochgeehrte befoderen, kegen e[uer] e[hrenveste], hochachtb[are], hochgel[ahrte], g[unsten] unndt hochw[eisheiten] bin ich pro communicatione designationis, wie mihr von zeit zue zeit vermöge meines h[errn] großvaternn testamenti das stipendium inhalts bey geschloßener copia ausgereichet, unndt was daran noch restiret, unterdienstlich danckbaar.
Undt demnach daraus erscheinet, das mihr Trium Regum 1625 sechs unndt dreissig R[eichs]th[ale]r 6 G[roschen] in resto vorblieben, unndt dan itzo Johannis ingleichen 36 Th[ale]r 6 G[roschen] sich betaget, thuet zuesamen 72 ½ Thaler, unndt ich deßen zue erkaufung nutzlicher authorum unndt fordtsatzung meiner studiorum höchlich von nöhten,
als gelangt an einem [!] ehrenvesten, hochweisen rahtt als meine hochgeerte fautores unndt promotores mein unterdienstliches vleißiges bitten, dieselben
[fol. 63v]
wollen mir diese sondere großgönstige beforderungk erzeigen undt dero am 4. Junii beschehehner großgönstiger resolution nach nicht allein den uf Trium Regum hinterbliebenen nachstandt, 36 Th[ale]r 6 G[roschen], sondern auch nuhemehr Johannis 1625 abermals vertagte 36 Th[ale]r 6 Gr[oschen], unndt also zuesamen zwey unnd siebentzig Thaler unndt ein halben, mir gegen abgebung meiner gnungsamen quiettung außreichen unndt folgen laßen.
Solches will ich der schuldigkeit nach mit unterdinstlichen danckbaren gemüett aufnehmen, vorrühmen unndt e[inem] e[hrenvesten] hochw[eisen] rahtt ist hin wieder meiner mögligsten dinsten in ungesparetem vleiß iederzeit gesichert, göttlicher protection zue beharlicher prosperirung einen e[hrnvesten] hochweisen rahtt zue deroselben ferner gunst unndt beforderung mich unterdinstlich entpfhelendt.
Datum Magdeburgk am tage Johannis, war der 25. Junii Anno 1625
e[uer] e[hrenvesten], hochachtb[aren], hochgel[ahrten], g[unstigen] unndt h[och]w[eisen] unterdinstl[icher] undt gevließener
Otto Gericke daselbsten.“
[1] Fehlerhafte Datierung, 19. Jh.: „1635 Juni 25“. – zeitgenössischer(?) Kanzleivermerk: „Otto Gericke zu Magdeb[ur]g“