Magdeburger Spuren, Nr. 783
Otto von Guericke ("Otto Gericke") bittet den Rat zu Braunschweig um die weitere Gewährung eines Stipendiums, damit er sein Studium, das er für ein Praktikum unterbrochen habe, fortsetzen und abschließen könne, Magdeburg, 29. Mai 1625.
Die Quelle
Das Autograph wird unter der Signatur unter der Signatur „Slg. Kestner/II/A/IV/647/Nr. 1“ in der Universitätsbibliothek Leipzig verwahrt und ist dort Teil der Autographensammlung Kestner.
Das eigenhändige mit Tinte auf Papier geschriebene Dokument ist mit einem aufgedrückten Sekretsiegel versehen und in einer deutschen Kurrentschrift abgefasst, wobei für lateinische Begriffe eine humanistische Kursive verwendet wurde. Die dorsalen Kanzleivermerke des 17. Jahrhunderts sind bei der Registrierung des Schreibens durch die städtische Kanzlei in Braunschweig aufgebracht worden.
Zur Person
Otto von Guericke, 1602 geboren, hat sein Studium 1617 an der Universität Leipzig aufgenommen und damit eine der ältesten, bereits 1409 gegründeten Universitäten des Reiches frequentiert. Dort absolvierte er zunächst bis 1619 ein Grundstudium an der Artistenfakultät. Das Immatrikulationsalter von 15 Jahren war in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich. Es war durchaus üblich, dass Jugendliche an die Universität gingen und dort zunächst vorbereitende Kurse belegten, die eher fortgeschrittenen Schulstoff als schon die hohe Wissenschaft vermittelten. Der Übergang von der Schule zur Universität war ein fließender.
1620 wechselte Otto erstmals den Studienort und ging an die Hohe Schule zu Helmstedt, die 1576 als lutherische Landesuniversität für die welfischen Herzogtümer gegründet wurde, aber auch viele Studenten aus dem Erzstift Magdeburg anzog. 1621/22 finden wir ihn in Jena, nun schon als Student der Jurisprudenz, also an einer der drei höheren Fakultäten. Jena war ebenfalls eine lutherische Neugründung und diente als Landesuniversität für das ernestinische Sachsen. Sie war die Nachfolgeeinrichtung für das den Ernestinern im Schmalkaldischen Krieg verloren gegangene Wittenberg. Schließlich wandte sich Otto 1623/24 von Thüringen in die Niederlande und frequentierte die berühmte Universität Leiden, eine der ältesten Hochschulen Westeuropas, wo er neben Jura auch Mathematik und Festungsbaukunst studierte. Von einer Studienreise nach England und Frankreich kehrte er am 30. November 1624 nach Magdeburg zurück. Mit Erfahrungen aus vier Studienorten sowie den Eindrücken einer kleinen internationalen „Kavalierstour“ zählte Otto von Guericke nun zu den am besten ausgebildeten jungen Männern seiner Zeit.
Im Jahr 1626 wurde er in den Magdeburger Rat aufgenommen und im September 1626 heiratete er Margarethe Alemann.
Aussage und Einordnung der Quelle
Im Frühjahr 1625 stand der 23 Jahre alte Student Otto Gericke vor einer wichtigen Entscheidung. In Leipzig, Helmstedt, Jena und Leiden ausgebildet und gerade von einer Reise durch England und Frankreich zurückgekehrt, plante er die Fortsetzung seines Studiums. Weil es ihm an Geld mangelte, bat er den Rat der Stadt Braunschweig um eine Verlängerung seines Stipendiums.
Der in einer Sammlung der Universitätsbibliothek Leipzig bislang unbeachtet gebliebene Brief vom 29. Mai 1625 gibt neue Einblicke in diese Bemühungen. Guericke konnte den Besuch eines Schwagers in Braunschweig nutzen, um sein Anliegen beim Rat vorzubringen. Es fehlte ihm nur noch die schriftliche Zusage. Der Brief belegt außerdem, dass Guericke seine Zeit in Magdeburg produktiv zu nutzen wusste. In der Studienpause absolvierte er ein Praktikum bei seinem Stiefvater, dem Möllenvogt Christoph Schulze, der zu den führenden Juristen seiner Zeit gehörte.
Der Brief ist genau vier Wochen älter als das bislang älteste bekannte Schreiben Otto von Guerickes vom 25. Juni 1625 (vgl. Magdeburger Spuren, Nr. 7), das 2018 im Stadtarchiv Braunschweig entdeckt worden war. Beide der Forschung zuvor unbekannte Briefe entstanden im gleichen Zusammenhang. Sie dokumentieren den letztlich gescheiterten Versuch Guerickes, sein Studium noch fortzusetzen.
Bedeutung der Quelle
Das hier vorgestellte Dokument kann nunmehr als das älteste eigenhändige Schreiben gelten, dass von Otto von Guericke überliefert ist. Es wurde im Rahmen des Projektes „Magdeburger Spuren“ im Frühjahr 2021 neu aufgefunden.
Nur ein anderes Schreiben Otto von Guerickes datiert früher, doch ist es nicht im Original, sondern lediglich als zeitgenössische Abschrift überliefert. Dabei handelt es sich um einen am 12. Mai 1621 ebenfalls in Magdeburg aufgesetzten Brief der Vettern Hans und Otto Gericke. Sie baten darin bei der Lehnskanzlei der ernestinischen Herzöge in Weimar um Mitbelehnung für das Rittergut Allstedt in der Goldenen Aue. Dieses schon länger in Familienhand befindliche Rittergut besaß damals Matthias Gericke (um 1562–1524), ein Onkel Ottos. Das Schreiben sollte den beiden Magdeburger Cousins eventuelle Erbansprüche sichern, die vorher ihre Väter besessen hatten.
Weiterführende Literatur
Christoph Volkmar, Das Projekt „Magdeburger Spuren“ und die Entdeckung der zwei ältesten eigenhändigen Schreiben Otto von Guerickes, in: Monumenta Guerickiana 2021 [in Druckvorbereitung].
Transkription
[fol. 3r]
„Ehrenveste, groß- undt hochachtbare, hochgelarte, hochweise herrn bürgermeisterr und rathmanne der statt Brau[n]schweig, e[uer] e[hrenveste] hochachtbar- undt hochgelarte gunsten undt hochweisheitten sind meine willige, geflissene dienste bevorn.
Insonders großgünstige herrn undt hochgeerte patroni, denselben ist unzweifelich noch unentrückten, waß bey e[uer] e[hrenveste] hochachtb[are], hochgelarte g[unsten] und hochweisheitten wegen irrigen calculi, so sich wegen meineß stipendii begeben, ich unterdienstlich den 30. Martii einstehenden 1625. jhares gesuchet und solches bey dem ehrnvesten hochachtbaren hochgelarten hochweisen herrn D. Johan Dauthen bürgermeistern der Altenstadt Magdeb[urg], meinem insonders großgünstigen herrn schwagern, bey seiner jüngsten expedition einrechen lassen, worüber umb mehrer nachricht willen inligende copia zubefinden.
Wiewohl nuhn wolvermelter herr D. Dauth mihr diese mündliche antwort einbracht, daß ich forderlichst mitt gueter resolution versehen werden solte, solche aber bißher verbliben.
Gleichwol ich ehest, alß ich auß Franckreich, meines supellectilis, so dann
[fol. 3v]
deß stipendii fähigk, und mein fundamentum in materia actionum, processuum et feudorum alhier bey meinem vitrico herrn Christophero Schultzenn vornehmen juris practico etwaß besser gelegt und angefangenen profectum verbessert, wieder auff academias zu begeben und meine studia zu compliren gemeinet,
derowegen zue e[uer] e[hrenveste] hochachtb[are], hochgelerte g[unsten] undt h[och]w[eisheiten] diß unterdienstliche vertrauen gesatzt, dieselben solthen meinen p[ro]fectum nicht alleine loben, sondern durch revision der alten quitanz[en] sich deß irrthumbs berichten, den mangel ersetzen und danebenst daß auff künpftig Johanniß betagte stipendium mihr förderlichst zu obgedachter vortsetzung und volnführung angefangener meiner studiorum großgünstig mihr ubermachen werden.
Alß habe ich hiemitt meiner bitte wiederholen sollen und wollen mit unterdienstlicher vleissiger bitte voriges und jetziges mein suchen großgünstig auff- undt anzunehmen, meiner billigen bitte statt zu geben und mihr bey dieser gelegenheitt gewerige erfreuliche antwordt und abstattung hinterblibenen rests und annahender
[fol. 4r]
quotae wiederfahren zulassen. Nebest deme, daß ich solches zuverühmen gegen e[hrnvesten] hochweisen rath und gemeinde mitt moglichen diensten zuverdienen mich schuldig erkenne, verbleibe ich
Magdeburgk Sontages Exaudi, den 29. Maii A[nn]o 1625
e[uer] e[hrenvesten], groß- und hochachtb[aren], hochgelarten, g[unstigen] und hochw[eisen] unterdinstlich[er] gevlissener
Otto Gericken s[ub]s[cripsit].“