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Magdeburger Spuren, Nr. 1003

Kaiser Rudolf II. lädt aufgrund einer Appellation von Rat und Innungsmeistern der Stadt Magdeburg Hans Hackenberger, ehemals Bürger und Goldschmied zu Magdeburg, vor das Reichskammergericht. Hackenberger hatte bei der Regierung des Erzstifts Magdeburg gegen Magister Johann Dörre, Pfarrer von St. Katharinen in Magdeburg, geklagt, um wieder zum Abendmahl zugelassen zu werden, nachdem er von diesem aufgrund des Verdachts der Vergewaltigung einer Magd ausgeschlossen worden war. Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg bestreiten in ihrer Appellation die rechtliche Zuständigkeit der Regierung des Erzstifts Magdeburg für Angelegenheiten der Stadt Magdeburg, Speyer, 5. September 1605.

Die Quelle

Die Urkunde wird heute am Standort Wernigerode des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, aufbewahrt. Es ist Bestandteil einer Akte, die unter der Signatur „A 53, D Nr. 31“ verzeichnet ist. Der Aktenbestand des früheren Reichskammergerichts, das seine Arbeit mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs 1806 einstellte, wurde lange am letzten Standort, in Wetzlar, aufbewahrt. Als 1924 das Staatsarchiv Wetzlar aufgelöst wurde, erfolgte eine Aufteilung der Akten an rund 50 deutsche Archive – je nach inhaltlichem Bezug des Vorgangs. Die Akten mit Bezug zur preußischen Provinz Sachsen wurden ins Staatsarchiv Magdeburg abgegeben. Seit den 1960er Jahren befinden sie sich am Standort Wernigerode des heutigen Landesarchivs Sachsen-Anhalt.

Die Urkunde befindet sich in der Akte des Prozesses zwischen Johann Dörre und Hans Hackenberger, wie auch auf dem Deckblatt vermerkt ist. Es handelt sich um ein Urkundenlibell aus drei übereinandergelegten, gefalteten und durch eine schwarz-gelbe Schnur verbundenen Papierbögen. Am Ende des Urkundentextes ist das kaiserliche Siegel in Wachs aufgedrückt. Es befindet sich unter einer Papierabdeckung. Zusätzlich erfolgte eine Beglaubigung durch die eigenhändige Unterschrift Dr. Caspar Schellhammers, damals Protonotar des Reichskammergerichts.

Die Akte wurde nachträglich mit einer Blattzählung versehen. Diese ist mit Bleistift am rechten oberen Blattrand notiert.

Der Hintergrund

Mit der Urkunde sprach de jure der Kaiser, facto jedoch der Kammerrichter des Reichskammergerichts – das war damals Eberhard von Dienheim, Bischof von Speyer (um 1540–1610) – eine Vorladung vor das Reichskammergericht aus. Wie aus dem Urkundentext hervorgeht, ging dieser Entscheidung eine Appellation des Rats der Stadt Magdeburg und von Johann Dörre, Pfarrer der Magdeburger Kirche St. Katharinen voraus. Vorgeladen wurden die Regierung des Erzstifts Magdeburg sowie Hans Hackenberger, ein ehemaliger Bürger der Altstadt Magdeburg.

Die Familie Hackenberger gehörte zu den ratsfähigen Geschlechtern Magdeburgs. Etwa zeitgleich mit Hans Hackenberger waren Vater und Sohn Andreas Hackenberg oder Hackenberger über viele Jahrzehnte im städtischen Rat vertreten.

Die Akte lässt folgenden Sachverhalt erkennen: Der Goldschmied Hans Hackenberger hatte seine Magd Barbara Meyer vergewaltigt. Der Fall wurde vor den Rat gebracht und die Schuld Hackenbergers festgestellt, weshalb er für die Magd und deren inzwischen geborenes Kind aufzukommen hatte. Von der moralischen Verfehlung der Sexualstraftat sollte sich Hackenberger durch ein Schuldeingeständnis (Kirchenbuße) reinigen. Da er dieses öffentliche Zeichen der Reue verweigerte, schloss ihn Johann Dörre, der zuständige Pfarrer der Magdeburger Kirchengemeinde St. Katharinen, vom Abendmahl aus. Hackenberger wollte diese soziale Ausgrenzung, die seine Ehre und damit auch seine Geschäftsfähigkeit in Frage stellte, nicht hinnehmen, sondern verklagte den Pfarrer vor der Regierung des Erzstifts Magdeburg. Das Urteil selbst ist nicht in der Akte enthalten. Der Rat der Stadt Magdeburg ging gegen dieses Urteil vor, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen. Ihm ging es weder um die Vergewaltigung noch um die Abendmahlsteilnahme Hackenbergers, sondern allein um die Frage, ob die Regierung des Erzstifts Magdeburg das Recht habe, über einen Einwohner der Altstadt Magdeburg zu urteilen. Wie die Appellation gelautet hat, geht aus der Vorladung hervor, da der Urkundentext die Argumentation der Stadt Magdeburg referiert. Demnach waren die Magdeburger der Meinung, der Vertrag mit dem Administrator des Erzstifts Magdeburg aus dem Jahr 1585 garantiere ihnen, dass innere Angelegenheiten der Magdeburger Bürgerschaft ausschließlich vom Rat entschieden werden und eine Appellation an die Regierung des Erzstifts Magdeburg nicht zulässig sei. Die Appellation beim Reichskammergericht erfolgte wegen Verletzung dieses Prinzips.

Johann Dörre und Hans Hackenberger traten formal als Prozessführende auf, aber um sie ging es gar nicht. Denn auch nachdem Johann Dörre 1607 gestorben war, ging das Verfahren weiter. Beide Seiten, der Rat der Altstadt Magdeburg und die Regierung des Erzstifts Magdeburg, schickten sich seitenlange Rechtsgutachten zu, mit denen sie ihre Positionen begründeten. Die Akte endet mit einem letzten Schriftstück aus dem Jahr 1611. Ein Urteil ist offenbar nie ergangen.

Bedeutung der Quelle

Der vorliegende Fall zeigt beispielhaft, wie das Reichskammergericht als oberstes Gericht des Heiligen Römischen Reichs funktionierte – oder eben auch nicht funktionierte. Das Reichskammergericht war 1495 auf dem Wormser Reichstag gegründet worden und löste ein älteres, 1415 bezeugtes königliches Hofgericht ab. Hauptzweck des Gerichts war die Sicherung von Frieden und Recht im Reich. Konflikte zwischen den Reichsständen sollten durch ein geregeltes Streitverfahren beigelegt werden. Das Gericht hatte seinen Sitz ab 1527 in der Bischofsstadt Speyer. Nach deren Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde es 1689 nach Wetzlar verlegt, wo 1806 die Auflösung erfolgte.

Das Reichskammergericht hatte mehrere Funktionen. Unter anderem war es das oberste Gericht im Reich für die Überprüfung von zivilrechtlichen Urteilen erster Instanz, was auch auf den vorliegenden Fall zutrifft. War ein Untertan eines Reichsstandes mit einem Urteil in erster Instanz nicht zufrieden, konnte er an das Reichskammergericht appellieren. Dabei war aber der Instanzenzug strikt einzuhalten. Gab es neben der ersten Instanz noch ein zuständiges territoriales Gericht, war dieses zunächst anzurufen, bevor man sich an das Reichskammergericht wenden konnte.

Dem Reichskammergericht stand ein Kammerrichter als Gerichtspräsident vor. Die eigentlichen Urteile trafen Assessoren, deren Namen aber im Schriftverkehr nie genannt werden. Im Prozess galt der Schriftlichkeitsgrundsatz. Alle Anträge und Erklärungen mussten per Brief an das Gericht gesandt werden. Dazu war jede Prozesspartei verpflichtet, einen beim Reichskammergericht zugelassenen Anwalt zu bevollmächtigen. Das Verfahren begann, indem der Kläger eine schriftliche Appellation einlegte und diese begründete. Die Appellation wurde in der Regel von einem Notar beglaubigt. Das Reichskammergericht fertigte daraufhin – meist in einer Pergamenturkunde oder in einem Urkundenlibell aus Pergament, später auch aus Papier – eine Vorladung aus. Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich um eine solche Vorladung. Normalerweise bestand sie aus drei Teilen: 1) der citatio, also der Vorladung des Beklagten vor das Reichskammergericht, 2) der inhibitio, also der Eröffnung des Verfahrens, 3) den compulsoriales, also der Anforderung von Abschriften des vorhergehenden Verfahrens in der ersten und zweiten Instanz. Diese drei Bestandteile konnten in einer Urkunde zusammengefasst werden, wie im vorliegenden Fall, oder auch separat erfolgen.

Auf dem Deckblatt der vorliegenden Urkunde heißt es ausdrücklich „Citatio et Compulsoriales“, was bedeutet, dass die Aufforderung zur Einreichung der Prozessunterlagen enthalten ist. Im letzten Teil des Urkundentextes werden Kanzler und Räte der Regierung des Erzstifts Magdeburg unter Androhung einer Strafe von 10 Mark Gold aufgefordert, spätestens 14 Tage nach der Verkündung der Vorladung beglaubigte Abschriften aller bisherigen Prozessunterlagen vorzulegen. In der Rechtspraxis wurde das jedoch meist nicht eingehalten. Die angeschriebene mittlere Instanz, in den Magdeburger Fällen die Regierung des Erzstifts Magdeburg, ließ sich bei der Erstellung der Abschriften meist viel Zeit, um den Prozess zu verzögern. Das hatte nie eine Strafe zur Folge, sondern allenfalls Mahnungen, die beglaubigten Abschriften endlich vorzulegen.

Die Vorladung wurde von einem Kammerboten dem Beklagten überbracht, vorgelesen und übergeben. Dafür unterhielt das Reichskammergericht eine eigene „Postabteilung“. Es verfügte im 17. Jahrhundert über zwölf berittenen Boten, die als Abzeichen ein Schild mit dem Bildnis des Kaisers trugen. Bei der Zustellung nahm der Kammerbote eine dreifache Beurkundung vor. Das Original der Vorladung und eine Abschrift wurden mit Zustellvermerken versehen, und zudem verfasste der Kammerbote einen Bericht an den Botenmeister, in dem er Ort und Zeitpunkt der Zustellung und den Namen des Empfängers festhielt.

In den folgenden Wochen mussten die Prozessparteien ihre Bevollmächtigten in Speyer ernennen. Das waren gelehrte Juristen, die vor Ort anwesend waren. Aller weiterer Schriftverkehr lief über sie. Die Bevollmächtigung musste durch ein beglaubigtes Schreiben nachgewiesen werden, welches man der Prozessakte hinzufügte.

Die Verfahren vor dem Reichskammergericht dauerten sehr lange und verliefen oftmals im Sande. Sobald eine Prozesspartei eine Schrift eingereicht hatte, war die andere Partei berechtigt, darauf zu antworten. Zwischen den Schreiben lagen manchmal Jahre, weil Prozessparteien das Verfahren bewusst verzögerten, wohl wissend, dass ohne eine Entscheidung des Reichskammergerichts das Urteil der vorigen Instanz weiter Bestand hatte. In der überwiegenden Anzahl der Fälle, die für die „Magdeburger Spuren“ eingesehen wurden, traf das Reichskammergericht nie ein Urteil. Die Verfahren zogen sich Jahre oder Jahrzehnte hin und endeten dann im Nichts. Oftmals starben während der langen Prozessdauer Prozessbeteiligte wie Kläger, Angeklagte oder bevollmächtigte Anwälte. Manchmal war es so, dass die Erben des Klägers oder Beklagten das Verfahren dennoch weiterführten.

Wenn tatsächlich eine Entscheidung getroffen wurde, folgte das nächste Problem. Das Reichskammergericht hatte keine Mittel, um die Einhaltung seiner Urteile auch durchzusetzen. Es war auf die Mitwirkung der Reichsstände angewiesen. Wenn aber ein Reichsstand nicht kooperierte, etwa weil er im Verfahren unterlegen war, dann hatte die Prozesspartei, die das Verfahren gewonnen hatte, keine Möglichkeit, ihr Recht von der unterlegenen Prozesspartei zu erlangen.

Der vorliegende Fall bildet exemplarisch die Rechtspraxis des Reichskammergerichts ab. Die Stadt Magdeburg versuchte auf dem Rechtsweg, die angestrebte Reichsunmittelbarkeit durchzusetzen. Dies tat sie, indem sie grundsätzlich an das Reichskammergericht appellierte, wenn die Regierung des Erzstifts Magdeburg in einem Urteil zweiter Instanz eine Entscheidung des Schöffengerichts der Stadt Magdeburg aufhob – unabhängig davon, um welchen Sachverhalt es sich handelte. Das Reichskammergericht nahm die Argumente beider Seiten entgegen, die sich in allen Verfahren ähnelten. Dabei verzögerte die Regierung des Erzstifts Magdeburg das Verfahren, indem Abschriften von Prozessunterlagen erst mit langer Verzögerung zugestellt wurden, indem man gesetzte Fristen verstreichen ließ oder immer wieder um Fristverlängerung bat. Diese Methode hatte Erfolg, denn in keinem einzigen Fall kam das Reichskammergericht zu einem Urteil.

Man sieht daran, dass das Reichskammergericht nicht in der Lage war, Prozesse zügig und effektiv zu beenden. Das unterscheidet das Reichskammergericht von den Appellationsgerichten derjenigen Reichsstände, die vom Kaiser das „Privilegium de non appellando“ erwirkt hatten. Besaß ein Glied des Reiches dieses Privileg, war es den Untertanen verboten, das Reichskammergericht anzurufen. Anfangs besaßen alle Kurfürsten das „Privilegium de non appellando“, doch im 17. Jahrhunderte kamen weitere Reichsstände hinzu, die sich damit der kaiserlichen Jurisdiktion entzogen. Sie mussten eigene Instanzenwege aufbauen. Vorbildlich gelang das etwa im Kurfürstentum Sachsen, wo das Oberhofgericht Leipzig und mehrere Appellationsgerichte die oberste Gerichtsinstanz bildeten. Das Erzstift Magdeburg erhielt indes nie das „Privilegium de non appellando“, weshalb bis zum Ende des Alten Reichs Magdeburger beim Reichskammergericht Appellation einlegen konnten.

Ungeachtet dessen geben die Fälle heute seltene Einblicke in das soziale Leben in der vormodernen Großstadt Magdeburg.

Weiterführende Literatur:

Rudolf Smend: Das Reichskammergericht. Erster Teil: Geschichte und Verfassung, Weimar 1911.

Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines der höchsten Gerichte im Alten Reich, 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2011.

Dietrich Lücke (Bearb.): Findbuch der Akten des Reichskammergerichts im Landesarchiv Magdeburg –Landeshauptarchiv, Buchstabe A-E, Halle (Saale) 1997, S. 203 f.

Transkription

[fol. 5r]

Citatio et compulsoriales Dörren contra Hackenbergern.

Prasentatum 12. Octobris 1605.

[fol. 6r]

Ich Rudolph der ander, von Gottes gnaden erwölter Römischer kaiser, in allen zeitten mehrer des reichs, in Germanien, zu Hungern, Beheimb, Dalmatien, Croatien und Sclavonien etc. könig, erzherzog zue Österreich, herzog zue Burgund, Steyr, Kärndtn, Crain und Württemberg etc., grave zue Tyrol etc., entpieten den ersamen, gelerten, unsern und des Reichs lieben getreuen NN cantzler und rhäten der fürstlichen Magdeburgischen regierung zue Halle, so dann Hanß Hackenbergern unser gnad und alles gutts. Ersam liebe getreuen, unserm kaiserlichen cammergericht haben die auch ersame unsere und des reichs liebe getreue NN rhatmannen und innungsmeister der alten statt Magdenburg pro interesse, so dann Johann Dörr, pfarherr zu sanct Catharinen daselbsten, supplicirendt zuerkennen geben, wiewol erstgedachte alte statt Magdeburg ihre regalia merum und mixtum imperium und was denselben anhengig, immediate ab imperio recogniscire und ein freie reichs und hänße statt sein und nur allein certis conditionibus et pactis dem erzbischoff zu Magdenburg zugethan und verwandt, und nicht allein crafft solcher regalien, recht und gerechtigkeit nunmehr für achzig jaren die evangelische religion daselbsten eingeführt

[fol. 6v]

und nachgehendts die ausgpurgische confession in iren kirchen angenohmmen und seithero ire freie christliche religions üebung und authonomiam und derselben immediate anhangende ecclesiasticam censuram et disciplinam gehabt und noch hette, auch jederzeit in rhuesamer possession vel quasi et libero exercitio solcher gerechtigkeiten gewesen und hernach geclagte neuerung außgeschieden noch wehren, sondern auch nach uffgerichten heilsamen religionsfrieden zwischen dem erzstifft und gemelter alten statt Magdenburg underschiedliche verträg uffgericht und biß anhero in viridi observantia gehalten worden. Darinnen außtrücklich versehen, daß jedertheil den andern hinfüro zu ewigen zeitten an seinen standt, wesen, religion, gottesdienst, bestallung des ministerii, kirchengebreuchen und ceremonien und was denselben allenthalben anhengig friedtlich und tuglich vermöge des Heiligen Reichs ordnung, abschiedt, landt- und religionsfriedens unangefochten, ungirret und unturbirt pleiben, halten und gebrauchen laßen sollen und wöllen, wie zu seiner zeit solches ferner solle belegt und dargethan werden. Inmaßen es auch bißanhero also gehalten worden, und bemelter statt von den erzbischoffen zue Magdenburg, oder je-

[fol. 7r]

mandt anders hierinnen zuvor niemals einig eintrag wiederfahren. Wiewol auch zwuschen mehrermelten erzbischoffen und der alten statt Magdenburg anno etc. fünffzehenhundertachzig und fünff ein vertrag uffgerichtet, darinnen clärlich abgeredet und verglichen, was sachen sein, so der willkhür allenthalben gemeß, daß von bescheidten, so allein gemeine ordnung, auch geltstraff oder sonsten den bürgerlichen gehorsamb betreffendt, nicht solle an den erzbischoffen appellirt, sondern es bei eines rhats decreten gelaßen werden, daß doch deßen ungeachtet sich unlengst zugetragen und begeben. Alß du Hanß Hackenberger, gewesener bürger zue Magdeburg, wegen getriebener unzucht vor besagtem rhat daselbsten verclagt und dann vermöge des acht und vierzigsten articuls der willkür zum purgier aidt gelaßen und zuleistung deßelben citirt worden, aber ungehorsamb außplieben, und sich weder per iuramentum purgirn, noch auch sonsten seine unschuldt darthun können, noch wöllen, sondern vielmehr solcher unthat überwerfen worden und nichts destoweniger sich bei der communion und tisch des Herrn einzustellen, und zu dem ende sich bei ime mit supplicirenden pfarherrn zue sanct Catharinen

[fol. 7v]

anzugeben, keine scheu getragen, und aber zue kirchen disciplin unnd ordnung vermöge, daß keiner so mit offnen lastern behafft und deßwegen publice diffamirt ohne vorgehende gebürende purgation oder kirchenbueß (die eben du, Hackenberger, wegen mehrbetriebener und begangener unzucht auch zuvor schon einmahl geleistet) zu dem tisch des herrn zugestatten und du solcher christlichen ordnung von gedachtem pfarherrn erindert worden. Daß du solches pro gravamine angezogen und davon alßbaldt an besagte regierung zue Hall vermeintlich zu appelliren und gedachten pfarherrn auch dahin citiren zulaßen dich understanden. Darin dir nicht allein zu Hall willfahret, sondern auch noch darneben ein inhibition wider zue rhat der alten statt Magdenburg quo ad causam principalem erkhandt worden. Wiewol nun besagter rhat sich ratione interesse derendts eingelaßen und auch Canzler und Rhäte gedachter regierung vielfeltig zue gemüth geführet, daß nit allein diße sach under die willkhür unzweiffenlich begriffen und darumb keine appellatio statt haben köndte, sondern auch dieselbe ire kirchendisciplin berühren thete. Darin kein Erzbischoff sie zu hindern oder einige

[fol. 8r]

maß und ordnung zugeben sich jemals understanden, solches auch sowol obangedeuter underschiedtlicher vertrag halber, alß in ansehung des alten herkommens, und obberürter regalien, rechten und gerechtigkeiten, so sie immediate ab imperio recognosciren, sich keineswegs zu thun gebüre. Mit pitt, dich Hackenbergern alß angemaßten appellanten mit deiner nichtigen appellation abzugeburenden gehorsamb anzuweisen und bemelten rhat bei irer gerechtigkeit und deren possession vel quasi unturbirt zulaßen. So hette doch solches alles bei euch cantzler und rhäte weniger als nichts verfangen wöllen, sondern solches mehr alß erheblichen einreden ungeachtet, berürte nichtige appellation nit allein den fünfften Julii stylo veteri jüngst per sententiam admittirt. Dieselbe uff- unnd angenohmen, sondern auch die vermeindte attentata revocirt, und nit supplicirenden Rhat sub poena arbitraria sich alles fernern attentirens zuendthalten ufferlegt, auch ine in die gerichtscosten derhalben uffgeloffen, ganz nulliter condemnirt. Wann aber solche ganz widerrechtliche und (salvo honore judicantum) nichtige urtheil einen rhat und ganz gemeindt der alten statt Magdenburg zu unerträglichen beschwerden gereichen thete, alß dardurch nit allein die politica et ec-

[fol. 8v]

clesiastica disciplina wölle relaxirt, sondern auch obberürte alte vertrag zerlöchert, gedachter rhat wieder alt herkommen beschwerdt unnd von der possession vel quasi liberi exercity religionis et authonomiae und was demselben anhengig. Durch solche nichtige urtheil vertrungen, zue pfarherrn aber in seinen ministerio turbirt und darneben beede in die gerichtscosten condemnirt worden. Dahero man noch ferners und weitters beschwerdt zuwerden in sorgen stehen müsse, da es bei derselben urtheil verpleiben sollte. Alß wahren gedachter rhat, wie auch er pfarherr zue sanct Catharinen nottrenglich verursacht worden, von solchen nichtigen hochbeschwerlichen urtheil innerhalb gepürender zeit rechtens als am vierzehenden Julii stylo veteri an uns und berürt unser kaiserlich cammergericht alß judicem immediate superiorem coram notario attestibus in scriptis debito modo zu appelliren, wie auß vorgezeigtem instrumento appellationis sub litera A. mit mehrern zuvernehmen. Dieweil dann solche appellatio den gemeinen beschriebenen rechten, der cammergerichtsordnung unnd nach beschaffenheiten dißer sachen dem fürstlichen Magdeburgischen privilegio in qualitate durchauß ge-

[fol. 9r]

mäß, also mehrberürts unsers kaiserlichen cammergerichts iurisdictio auch diß ortts ganz richtig fundirt wehre. Solchem nach umb diße unsere kaiserliche ladung wie auch compulsoriales alle dißer sachen arten fürderlich haben außzupringen wider auch respective zuerkennen und mitzutheilen underthenig anruffen und pitten laßen, auch erlangt, daß iren gepottene proceß uff heut datum erkhendt worden seindt. Hierumb so heischen und laden wir dich, Hanß Hackenbergern, von römischer kaiserlichen macht, auch gericht und rechts wegen hiemit, daß du uff den dreißigsten tag demnechsten nach überandtworttung oder verkhündung diß brieffs, deren wir die zehen vor den ersten, zehen vor den andern, zehen vor den dritten, letsten unnd endtlichen rechts tag sezen und benennen peremptorir oder ob derselbig nit ein gerichtstag sein würde, den nechsten gerichtstag darnach selbst oder durch einen vollmechtigen anwalden an demselben unserm kaiserlichen cammergericht erscheinest, inen appellanten deßwegen im rechten gebürlich zu andtworten. Daruff der sachen und allen iren gerichtstägen und terminen biß nach endtlichen beschluß

[fol. 9v]

und urtheil außzuwarten. Wann du kommest und erscheinest alßdann also oder nit, so würds doch nichts destoweniger uff des gehorsamen theils oder seines anwaldts anruffen und erfordern hierinnen im rechten gehandelt und procediret, wie sich das seiner ordnung nach gebürt. Darnach wiße dich zurichten. Wir gepieten auch euch cantzler und rhäten von berürter unser kaiserlichen macht, und bei pen zehen marcks löttigs goldt halb in unser kaiserliche cammer und zum andern halben theil inen appellanten onnachleßig zubezalen, hiemit ernstlich und wöllen, daß ir in vierzehen tagen, dennechsten nach gemelter insinuation und verkhündigung ermelten appellanten oder iren machtpotten uff ir gesinnen und zimbliche belohnung alle und jede obangerregte arten und handlungen in glaubwürdiger form heraußgebet und folgen laßet, sie hirrinnen nicht uffhaltet oder vorziehet. Damit sie deßhalben an vollnfahrung der sachen nicht verhindert, und mit erclerung obberürter pen, und sonst ferner im rechten gegen euch zu procediren nicht noth werde. Daran beschicht unser erstliche meinung. Geben in unser und des heiligen reichs statt Speier, den fünfften tag

[fol. 10r]

monats Septembris, nach Christi unsers lieben herrn geburt sechzehenhundert und im fünfften, unserer reiche den Römischen unnd Beheimischen im dreißigsten und des Hungarischen im dreiunddreißigsten jarn.

[von anderer Hand]

Ad mandatum domini electi imperatoris proprium.

 

Casparus Schelhamer doctor, judicii imperialis camerae protonotarius, subscripsit.

Zitiervorschlag

Matthias Donath/Lars-Arne Dannenberg: , Vergewaltigung wird bestraft – oder doch nicht? Wie ein Goldschmied die große Politik für juristische Tricks ausnutzt (1605), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=1003 (08.05.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
1003
Datierung
05.09.1605
Systematik 1
06.11 andere Bürger und Einwohner
Systematik 2
Juristische Angelegenheiten
Fundort
Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Wernigerode
Signatur Fundort
Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, Standort Wernigerode, A 53, D Nr. 31, fol. 5r-10r
Umfang
10 Seiten
Aktentitel
Appellatonis 1605. Dorr. M. Johann Dorr & consortes appellantes contra Hannß Hackenbergenn & consortes appellates
Beschreibung
Urkundenlibell mit schwarz-gelber Schnur, aufgedrücktem Siegel unter Papierabdeckung und eigenhändiger Unterschrift von Caspar Schellhammer, Protonotar des Reichskammergerichts, dt., Tinte auf Papier, Rückseite: Inhaltsvermerk.