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Magdeburger Spuren, Nr. 1002

Die Gesandten der Ritterschaft und der Stände des Erzstifts Magdeburg appellieren an Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg, angesichts der militärischen Bedrohung eine friedliche Lösung zu finden und einen Krieg zu verhindern, Staßfurt, 1. Oktober 1550.

Die Quelle

Das Dokument befindet sich im Hauptstaatsarchiv Weimar des Landesarchivs Thüringen und ist Teil einer Akte unter der Signatur „Reg. E 168“ und umfasst die Seiten 287r bis 287r. Aktenkundlich handelt es sich um einen Brief, der hier in Form einer Abschrift in einer Akte vorliegt, weshalb keine Beglaubigungsmittel beigefügt sind. Am Ende des Textes ist die Datierung „Mitwoch nach Michaelis Anno 1550 [= 1.10.1550]“ zu finden. In der Quelle appellieren die Gesandten der Ritterschaft und der Stände des Erzstifts Magdeburg an den Rat und Innungsmeister der Stadt, eine friedliche Lösung für die Belagerung der Stadt und die militärisch drohende Situation zu finden.

Der Rat der Altstadt Magdeburg stellte das zentrale Verwaltungsorgan. Der Rat bestand aus zwei Bürgermeistern und zwölf Ratsherren. Sie amtierten jeweils für ein Jahr und bildeten somit den sogenannten sitzenden Rat, und dann für zwei Jahre pausierten und demnach „alter / überalter Rat“ genannt wurden. Die Aufgaben des Rates waren vor allem politischer und administrativer Natur, so beispielsweise für die Organisation und Durchführung der Stadtverwaltung, sowie für die Gesetzesdurchsetzung. Sie repräsentierten die Bürger der Stadt. Die Innungsmeister der Stadt wurden von verschiedenen Vertretern der Handwerksinnungen gestellt. Dort sollten sie für die Repräsentation der Interessen und Anliegen der Handwerksberufe tätig sein, und fungierten beratend. Schöffen und Innungsmeister waren somit lediglich Repräsentanten der Stadt, doch kein Teil des Rates.

Der Text wurde mit schwarzer Tinte auf Papier niedergeschrieben. Er beginnt mit einer Zierinitiale „U“ des Wortes „Unsere“. Der Text wird in drei Absätzen beendet. Zum einen ist die Datierung zu finden. Dem folgt in einem rechten Einzug, linksbündig verfasst, die Dokumentation der Verfasser. Schlussendlich werden in einer höflichen Anrede der Bürgermeister, die Mitglieder des Rates und der Innungsmeister der Stadt Magdeburg angesprochen und als Empfänger festgehalten. Der gesamte Text ist linksbündig verfasst. Aufgrund von Zeilenbrüchen getrennt geschriebene Wörter sind an zwei kleinen, horizontal parallelen Strichen zu erkennen.

Die verwendete Schriftart ist die sogenannte Kurrentschrift, zu erkennen an einer flüssigen, in die Breite gezogenen kursiven Schreibweise. Sie neigt sich rechts und weist vor allem Schleifen an den Oberlängen, sowie an den Unterbögen, insbesondere bei den Buchstaben h und z. Besonders ist zudem das geknüpft wirkende e. Die Kurrentschrift ist eine im 16. Jahrhundert aus der Kanzleibastarda entwickelten Schriftart, aus der sich wiederum im 17. bis 19. Jahrhundert spätere Schriftarten ableiteten.

Der Hintergrund

Bereits in den 1540er Jahren widersetzte sich Magdeburg weitestgehend der Religionspolitik Kaiser Karls V. Dieser stand auf dem Höhepunkt seiner Macht, nachdem er im Schmalkaldischen Krieg von 1546 bis 1547 über die protestantischen Verbündeten gesiegt hatte. Die verlorene Schlacht von Mühlberg 1547 bedeutete die Auflösung des Schmal-kaldischen Bundes, dem sich Magdeburg 1531 angeschlossen hatte und der der Stadt protestantische Fürsten sowie Städte als Verteidigungspartner bot. Kaiser Karl V. legte die Stadt am 27. Juli 1547 in die Reichsacht, die bis 1562 anhalten sollte. Im Kaiserlichen Schreiben der Achtserklärung wird diese mit der Nichtbefolgung kaiserlicher Anordnungen und der crimen laesae majestatis, also der Majestätsbeleidigung, begründet. Magdeburg widersetzte sich dem auferlegten Interim und bekräftigte so seine Haltung. Jedoch befand sich die Stadt durch die Reichsacht politisch, juristisch, sozial und ökonomisch isoliert von der Landesfriedensgemeinschaft. Die Reichsacht hatte somit einschneidende Folgen für die Stadt. Sie verlor ihre wichtigsten Einnahmequellen und verlor Besitzansprüche.

Die Verweigerung der Anerkennung des Augsburger Interims hatte im Herbst 1550 militärische Folgen. Der  04. Oktober 1550 markiert den Beginn der Belagerung der Stadt Magdeburg durch den Kurfürsten Moritz von Sachsen und den Markgrafen Albrecht von Brandenburg mit ca. 15.000 Söldnern. Ihr Ziel war die Durchsetzung der Reichsacht durch den Befehl des Kaisers Karl V. Durch Verhandlungen und einer geheimen Zusage an den Magdeburger Magistrat kapitulierte die Stadt nach einem Jahr der Belagerung und zahlreichen Gefechten. Mit dem Unterschreiben der „Kapitulationsurkunde“ am 05. November 1551 erhielt Magdeburg seine vollständige Religionsfreiheit. Michael Puhle schreibt, dass die Ergebnisse der Belagerung 1550/51 die Politik des Rates bestätigen würden, da diese trotz einer Schwächung der Wirtschaft aufgrund der Entschädigungszahlung von 50.000 Gulden an den sächsischen Kurfürsten die Autonomie Magdeburgs gestärkt hätte.

Die Bedeutung der Quelle

Die Textquelle gibt Einblick in die komplexen Machtstrukturen und Konfliktlinien, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Magdeburg einen Höhepunkt fanden. Der Text wurde kurz vor dem Beginn der einjährigen Belagerung der Stadt Magdeburg verfasst. In der Quelle wird auf die kritische militärische Lage hingewiesen, die bereits zu eskalieren droht.

Die Absender des Schreibens sind Vertreter der Stände des Erzstifts Magdeburg, die als Angehörige des Adels und der städtischen Obrigkeit in einem ambivalenten Verhältnis zur Altstadt standen. Einerseits besteht eine Verbundenheit in der Geschichte nachbarlicher und wirtschaftlicher Beziehungen mit der Stadt, andererseits standen sie als Vasallen des Erzbischofs in der Pflicht, gegen die als ungehorsam geltenden Altstadt Magdeburg militärisch vorzugehen.

In dieser ambivalenten Situation scheinen die Absender in Berücksichtigung der alten Verbundenheit für eine friedensorientierte Konfliktbeilegung aufzurufen. Durch Verhandlungen solle eine friedliche Lösung gefunden werden, so appellieren die Gesandten an den Rat und deren Innungsmeister. Somit dokumentiert der Text einen Aufruf zu Verhandlungen, um weitere eskalierende Schritte zu vermeiden. Dies zeigt, dass trotz akuter Gefahr diplomatische Mittel vorgezogen wurden und eine Bereitschaft für kooperatives Verhalten weitere Überfälle, Plünderungen oder gar Schlimmeres verhindern sollte. Dabei sollten verschiedene Akteure in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Der Text bezeugt zum einen eine Bereitschaft zur gewaltfreien Lösung, aber auch Verantwortungsbemühen als Vermittler zwischen lokaler Verbundenheit und obrigkeitlichem Gehorsam.

Da der Text sich explizit an den Bürgermeister, den Rat der Stadt und die Innungsmeister wendet, werden die sozial-politischen Strukturen verdeutlicht. Sie hatten Einfluss auf wichtige Entscheidungen, die friedliche Verhandlungen oder Gewalt bedeuten konnten. Sie gemeinsam sollten eine friedliche Lösung finden. Auch sollten die Verhandlungen bedacht durchgeführt werden, da ein Scheitern schwerwiegende Folgen, wie die Zerstörung der Stadt und eine Eskalation des Konfliktes, haben konnte. Magdeburg ist hierbei ein Zentrum dieser Auseinandersetzung und wird angehalten, trotz protestantischer Bestrebungen weise und friedlich zu agieren. Somit ist die Quelle ein bedeutendes Zeugnis für den protestantischen Widerstand - und vor allem Magdeburgs zentrale Rolle dabei - gegen die Politik des Kaisers Karl V. Sie spiegelt den langwierigen Machtkonflikt wieder und zeigt, wie eng Religion und militärische Entscheidungen miteinander verknüpft waren.

Weiterführende Literatur

Köster, Gabriele/Poenicke, Cornelia/Volkmar, Christoph (Hrsg.): Magdeburg und die Reformation. Teil 2: Von der Hochburg des Luthertums zum Erinnerungsort (Magdeburger Schriften 8) Halle (Saale) 2017.

Köster, Gabriele/von Elsner, Tobias (Hrsg.): Gegen Kaisere und Papst. Magdeburg und die Reformation. Ausstellungsführer. Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 2017.

Moritz, Anja: Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548-1551/52. (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation 47), Tübingen 2009.

Puhle, Matthias: Magdeburg. Kleine Stadtgeschichte. Regensburg 2018.

Richter, Friedrich: Dr. Friedrich Richter's von Magdeburg kurzgefasste Geschichte der Stadt Magdeburg. Magdeburg 1834.

Schneider, Karin: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, B. Ergänzungsreihe, Nr. 8). 3. Auflage. Berlin/Boston 2014.

Scholz, Michael: Stadtherr, Rat und Geistlichkeit - Stadtverfassung und Sakraltopographie in Magdeburg am Vorabend der Reformation. In: Magdeburg und die Reformation. Eine Stadt folgt Martin Luther. Ballerstedt/Köster/Poenicke (Hrsg.). Band 7, Teil 1.Halle (Saale) 2016.

 

Siehe auch:

- Magdeburger Spur Nr. 744 („Bürgermeister, Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg berichten der Ritterschaft und den Städten des Erzstifts Magdeburg über die militärische Entwicklung und rufen die Stände auf, sich an der Verteidigung des wahren christlichen Glaubens zu beteiligen, Magdeburg, 1. Oktober 1550.“),

- Magdeburger Spur Nr. 803 („Ritterschaft und Stände des Erzstifts Magdeburg antworten Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg und bitten sie um ein Einlenken in der strittigen Religionsfrage, um einen Krieg zu verhindern, Salza, 4. Oktober 1550.“),

- Magdeburger Spur Nr. 751 („Bürgermeister, Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg bekennen, sich Kurfürst Moritz von Sachsen als kaiserlichen Heerführer zu ergeben und die Kapitulation unterschrieben zu haben. Sie geloben, die Kapitulation einzuhalten und sich zukünftig gegenüber dem Kaiser gehorsam zu zeigen, Magdeburg 1551“).

Transkription

[Bl.1] Unsere freundliche dinste zuvorn, ersame fursichtige und weise,

gunstige gute freunde, euch ist sunders zweivel bewust,

wie und welcher gestalt, die sachen mit dem itzigenn

frembden[1] kriegsvolk, auch sonsten allenthalben gelegen, wes wir

auch euernthalben one unsere verursachung als die

benachbarte und mit verwandte des ertzstieffts vor merg-

lichen schaden und nachteil erlitten, auch desselben nun weiter

und zukunftig gewerttig sein müssen. Und zwei-

veln ghar nicht, do ir euch gleich wol hiebevor in dem

ergangen und wolmeinenden handlungen mit der resti-

tution der eingenhommen heuser des ertzstieffts, auch

in andern zur billigkeitt hetten finden und weissenn

lass[en], das[2] diese itzige, gegenwerttige

und beschwerliche weitterung und not, euch und unns

allen zum besten auch verblieben, wie wir dan des nechst[en]

euers erliedten schadens mit euch und den euern ein

freundlich mitleiden tragen. Und nachdem wir

dan nhumals vor unser person, auch unser verwantnis

und nachbarschafft nach, nichts libers sehen mochten, dan

das zuverhuttung kriegs und ferner beschwerlicher und

nachteiliger weitterung, diese sach zu friede, gutter

einickeitt und nachbarschafft, und also in den vorigen friede

standt möcht gericht werden, und wir darzu und zu[3]

befurderung dieselbigen samptlich und sonderlich zum hoch-

sten geneigt, und aber nicht wissen kondhen, obb euch

[Bl.2] gelegen sein wolt, uns freundlich und sonderliche under-

redung und handlung zugestadten. So ist demnach

unser freundlich begern und bitt, uns desselben euers

gemuets und gelegenheit bey gegenwerttigen botten,

oder sunsten zum aller ford[er]lichsten, dieweil wier

alhir nach bey einander und also nicht in die lenge ver-

harren khonnen, zuverstendigen. Als dan

weren wir bedacht, etzliche aus unser der stende ver-

samlunge gegen billicher und nachbarlicher, treulicher

versicherung zu euch abzuferttigen, und auf die wege

und mittel aus verleihung gotlich[er] gnad, und sovil

uns moglich mit euch uns freundlich  underreden, und hand-

len zulassen, damit fried und ainigkeitt gefurdertt,

auch andere weitleufftigkeitt, die sunst villeicht hieraus

ane und wider unsern willen erfolgen mocht, disfals

verbleiben kont. Und sein euch freundlich zu dienen gneigt

und willig. Datum Stasfart, mitwoch nach Michaelis

Anno 1550 etc.

Die von der ritterschafft, auch

der stedte des ertzstieffts Mag-

denburg geschickte, Itzt zu Stasfurt
versamlet

 

Den ersamen, fursichtigen und weisen burg[er]meister, rath-
mannen und innungsmeistern der Alten Stad Magdenburg
unsern gunstig[en] guten freunden und nachbarn



[1] Anmerkung: Einfügung am linken Rand.

[2] Anmerkung: davor gestrichen: „es were auch“.

[3] Anmerkung: es folgt gestrichen: „fur-“.

Zitiervorschlag

Ronja Binder, Friedensbitte in Zeiten der Bedrohung. Ein Appell an die Stadt Magdeburg (1550), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=1002 (08.07.2025)

Erschließungsinformationen

Signatur
1002
Datierung
01.10.1550
Systematik 1
02.01.06 Niederadel
Systematik 2
Belagerung Magdeburgs
Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar
Signatur Fundort
Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. E 168, fol. 287r-287v
Umfang
2 Seiten
Beschreibung
Abschrift, ohne Besiegelung, dt., Tinte auf Papier
Bemerkung
Teil einer Akte
URN
urn:nbn:de:gbv:ma26-2502050746207.642054872600
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