Magdeburger Spuren, Nr. 473
Bürger aus Magdeburg berichten Kurfürst Moritz von Sachsen über Schäden, die sie in der Mark Brandenburg erlitten haben, dass einige sogar in Gefangenschaft geraten sind, wodurch ihre Familien von Armut bedroht seien, und bitten, dass er sich für ihre Freilassung einsetzt, Magdeburg, 15. Mai 1548.
Die Quelle
Das unter der Signatur „Sächsisches Staatsarchiv, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 08947/21“ im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrte Dokument ist Teil einer Akte mit dem Titel „Stadt Magdeburg, wie deren Bürger und der Mark Brandenburg Untertanen einander ihre Güter geraubt (Erzstift Magdeburg)“. Sie überliefert u. a. den Streit mit Einwohnern der Mark Brandenburg als die Stadt unter der Acht des Kaisers stand.
Das vorgestellte Bittschreiben an die Räte von Kurfürst Moritz ist auf den 15. Mai 1548 datiert und in einer Abschrift überliefert. Es beginnt auf der Vorderseite von Blatt 1, umfasst 3 Seiten und endet mit dem Kanzleivermerk Schreiben der burger zu Magdeburg der gefangen halben auf der Rückseite von Blatt 4. Es ist mit Tinte in einer sauber ausgeführten deutschen Kurrentschrift auf Papier geschrieben.
Der Hintergrund
Im Jahr 1547 wurden der ernestinische Kurfürst Johann Friedrich und seine Verbündeten in der Schlacht von Mühlberg von Kaiser Karl V. und Moritz von Sachsen besiegt. Sie hatten den Schmalkaldischen Krieg verloren. Magdeburg verweigerte dennoch die Unterwerfung und wurde dafür vom Kaiser noch im selben Jahr mit der Reichsacht belegt. Das auf dem folgenden Reichstag beschlossene Augsburger Interim lehnte man ebenfalls ab und dementsprechend wurden etwaige Gnadengesuche des Rates zurückgewiesen.
„Wegen ihres Ungehorsams, der Förderung der Rebellion und des Majestätsverbrechens haben sie alle Regalien, Lehen, Freiheiten, Hab und Gut, Leib und Leben verwirkt und sind in die Reichsacht durch die Tat gefallen. (…) Jedem wird erlaubt, sie ihrer Freiheiten, Güter usw. und Leibes und Lebens zu entsetzen.“[1] Die Reichsacht versetzte den oder die Geächteten also in einen Zustand vollkommener „Rechts- und Friedlosigkeit“[2]. Mit der Vollstreckung der Acht wurden Moritz von Sachsen, Joachim II. von Brandenburg und Erzbischof Johann Albrecht von Magdeburg beauftragt.
Unter die Reichsacht fiel nicht nur die Stadt als Ganzes sondern auch jeder ihrer Bürger. Somit büßten Magdeburger Händler außerhalb der Stadt nicht nur ihre Privilegien ein, sondern waren der Willkür eines jeden Menschen ausgesetzt.
Moritz von Sachsen, der selbst Protestant war, strebte die Ausweitung seiner Herrschaft auf die Stadt und das Erzstift Magdeburg an, dessen Bischofsstuhl seit 1513 die Brandenburger Hohenzollern innehatten. Sowohl die militärische Intervention auf Seiten des Kaisers 1547 als auch die Fürsprache für das geächtete Magdeburg danach waren Versuche, seine Macht über Magdeburg auszubauen. Deshalb war Moritz trotz seines militärischen Vorgehens gegen die Stadt ein guter Adressat für eine Bitte um Fürsprache bei einem Vergehen gegen Magdeburger Bürger.
[1] Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Dritter Band (1. Januar 1547 – 25. Mai 1548), hg. Historische Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, bearb. Johannes Herrmann/ Günther Wartenberg, Berlin 1978 (= MVS 3), 725.
[2] Friedrich Battenberg, Art. Acht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 2008, Spalte 59; vgl. Jospeh Poetsch, Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 105), Breslau 1911.
Bittschrift der Bürger
Bei dem Brief handelt es sich um eine Bittschrift (Supplik) von Magdeburger Bürgern an die Räte von Kurfürst Moritz von Sachsen. In ihr schildern sie, wie sie und andere Magdeburger in der Mark Brandenburg überfallen, ausgeraubt und einige von ihnen gefangen genommen wurden, wodurch viele von ihnen und ihre Familien in eine schwere materielle Notlage geraten wären. Das habe einige von ihnen gezwungen, ihrerseits Leute, die in der Marg Brandenburg gesessen und ire wesen („Haus und Hof“) haben, auszurauben. Diese hätten außerdem einen gewissen Michel Jhuden gefangen genommen. Die Motivation der Magdeburger für diese Form der Selbstjustiz sei ausschließlich gewesen, dass ihnen ihr erlitten schadens mochten erstattet werden. Sie hätten darüber hinaus nicht beabsichtigt, jemandes einigen schaden zuzufhugenn. Die Idee der Verhältnismäßigkeit scheint also eine Rolle in der Beurteilung und Bewertung ihrer Taten gespielt zu haben. Anschließend bitten sie darum, dass der Kurfürst sich für die Freilassung der Gefangenen und ihrer Diener einsetzt und betonen dabei, dass die Brandenburger die Angreifer gewesen wären.
Es werden zwar keine näheren Angaben zu den (laut den Magdeburgern) Tätern gemacht, aber die Tatsache, dass sich der Kurfürst von Sachsen offenbar in einer Position befand, von der aus er die Freilassung der Gefangenen erwirken konnte, lässt darauf schließen, dass die Brandenburger „Aggressoren“ auf einem regulären Weg kontaktiert werden konnten. Es könnte sich also nicht um Kriminelle, sondern reguläre Einwohner der Mark Brandenburg gehandelt haben, die in Kenntnis der Ächtung Magdeburgs agierten. Schließlich bot die damit verbundene Straffreiheit für potenzielle Täter eine günstige Gelegenheit.
Die Magdeburger geben im Text keine Auskunft über den Grund ihres Aufenthalts in der Mark, denkbar wäre aber eine wirtschaftliche Unternehmung, vielleicht ging es um Handel oder eine entsprechende private Unternehmung.
Bedeutung der Quelle
Der Form nach entspricht das vorliegende Dokument einer Bittschrift, wie sie ein Untertan bzw. eine Gruppe von Untertanen an Herrschende richtete. Allerdings handelte es sich bei den Magdeburger Bürgern nicht um Untertanen des sächsischen Kurfürsten, sondern (zumindest de iure) des Erzbischofs, dessen Autorität sie aber in Frage stellten. Normalerweise hätten sich die Bürger Magdeburgs bzw. der Rat ein Gesuch an die entsprechenden Adressaten in Brandenburg richten können. Schließlich stellte Magdeburg einen ernstzunehmenden Machtfaktor in der Region dar. Unter der kaiserlichen Acht fehlten ihnen allerdings die Rechts -und Machtmittel. Es zeugt vom Selbstbewusstsein der Bürger, dass sie sich mit ihrem Anliegen an den mächtigsten Fürsten im mitteldeutschen Raum wandten, von dem sie sich eine erfolgreiche Behandlung ihres Ansinnens versprachen. Kurfürst Moritz erhielt durch die Bitte der Magdeburger Bürger um Unterstützung eine Gelegenheit, sich als Fürsprecher von Magdeburg zu engagieren und auf diese Weise seinen Einfluss auf die Stadt auszuweiten.
Weiterführende Literatur:
- Battenberg, Friedrich, Art. Acht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 2008, Spalte 59 – 65.
- Jospeh Poetsch, Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 105), Breslau 1911.
- Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Dritter Band (1. Januar 1547 – 25. Mai 1548), hg. Historische Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, bearb. Johannes Herrmann/ Günther Wartenberg, Berlin 1978.
Transkription
[fol. 1r]
Gestrenge, achtbar, hochgelarte, ernvehste und erbar hern, euer gunsten sein unser gantz willige und unverdrossene dinste zuvor. Besunder grosgunstige herren, wir sein zweifels an, e[uer] gunsten werden wol erfahrenn haben, wie ein eben zeither, wir unnd andere burger alhie zu Magdeburg in der Margk Brandenburg beschedigt, das unser auf freier strassen geraubt unnd genommen worden, dardurch wir zum theil vaste[1] zu grunde vortorben.
Und so keiner under uns, des gemuets ader mainunge je gewesen, noch sich hat horen lassen jemandes zu beschedigen, so hatt doch etlichenn under uns, ire, irer weiber und kinder grosse noth und armuth dohin vorursacht, getzwungen und gedrungen, das sie etzlichen, so in der Marg Brandenburg gesessen und ire wesen haben, wiederumb nachgetrachtett und Michel Jhuden beÿ Franckfurt an der Ader bekommen unnd gefangen, daruber sie sampt etlichenn knechten, in des durchlauchtigsten hochgebornen fursten und hern Moritz, hertzogen zu Sachssen, des Haÿ[ligen] Röm[ischen] Reichs ertzmarschalch unnd churfursten [etc.] unsers gnedigsten hern,
[fol. 1v]
hoffe gekommen und noch enthalten werdenn. Dieweil dan unser und der gefangen unser nachtbar gemuthe allewege dahin gericht gewehsen und alleine begert, das wir unsers erlitten schadens mochten erstattet werden, und doruber nicht gesinnet gewehsenn jemandes einigen schaden zutzufhugenn. Wie wir dan auch noch nicht bedacht sein, demnach bitten wir von wegen der gefangen, unser nachtbarn, vleissig, euer gunsten, wollen dieses, das wir unnd die gefangen, wieder die in der Marcke, anfencklich nichts tetlichs understanden, noch vorursacht, besundern die aus der Marg sich erstlich zu uns und den gefangen, auch andern burgern unsern nachtbarn, genottigt, uns angegriffen und unvorwintlichen schaden zugefugt, gunsthlichen behertzigenn, betrachten und weil euer gunste, beÿ hochgenanten unsern gnedigsten hern, dem churfursten etc. in gnaden unnd ansehen, befurdern helffen, das die gefangen, so ane ire vorursacht von denen
[fol. 4r]
aus der Margke, bereit schaden gnug erlitten, sampt den dienern wieder zu freien fhusen kommen, und der gefencknus erledigt werden mugen. Das umb euer gunstenn semptlich unnd einen iglichenn in sunderheit, wollen wir ungesparts vleisses willig unnd gerne vordienen, bittenn dieses euer gunste schriftliche andtwort. Datum under unsern itzlicher pitzschir. Dinstags nach Misericordias d[omini] anno [etc.] [15]48
C. G. A. H. E und E
Willige burger zu Magdeburg so in der Margk Brand[en]burg beschedigt geword[en].
[fol. 4v]
[Kanzleivermerk:] Schreiben der burger zu Magdeburg der gefangen halben.