Magdeburger Spuren, Nr. 586
Thomas Rode, Bürger zu Magdeburg, schildert dem Kaiser seine Sicht auf den Tod des Moritz Hovemeier, Bürger zu Magdeburg, der durch den Magdeburger Stadtknecht Georg Krabwinkel im Dorf Cracau erschossen worden sei, und bittet um einen Geleitsbrief, Magdeburg, vor 20. Mai 1544.
Die Quelle
Das unter der Signatur „RHR Grat Feud Geleitbriefe 6-126“ im Österreichischen Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien aufbewahrte Dokument ist Teil einer Akte mit dem Titel „Rhode, Thomas, Bürger der Altstadt Magdeburg: Totschlag“. Die Akte überliefert Material über ein Strafverfahren um die Tötung des Magdeburger Bürgers Moritz Hovemeyer.
In dieser Akte befinden sich weitere Schriftstücke zu diesem Fall, u. a. ein kaiserlicher Geleitbrief für den Beschuldigten Thomas Rode, Bürger der Altstadt Magdeburg, unter dem Datum des 20. Mai 1544. Ausstellungsort war hier übrigens nicht Wien, sondern Speyer, wo sich der Kaiser auf dem Reichstag aufhielt (vgl. Magdeburger Spuren Nr. 587).
Die vorgestellte Supplik ist eine Ausfertigung ohne Datum. Aus den Kanzleivermerken geht aber hervor, dass im kaiserlichen Reichshofrat am 20. Mai über die Bitte entschieden wurde, so dass Rhodes Gesuch einige Tage zuvor entstanden sein dürfte. Es beginnt auf der Vorderseite von Blatt 262, umfasst 6 Seiten und endet mit einigen Kanzleivermerken auf der Rückseite von Blatt 266. Es ist mit Tinte mit einer ausgeschriebenen Handschrift in deutscher Kurrentschrift auf Papier verfasst.
Der Hintergrund
Ein wesentliches Merkmal der frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung war das Nebeneinander verschiedener Gerichtsherren. Eigene Gerichte unterhielten neben den landesherrlichen Ämtern auch Rittergüter, Städte, geistliche Institutionen und Universitäten. Umfang und Verfassung einer Gerichtsherrschaft definierten sich materiell und räumlich. Je nach Rechtsmaterie wurde in obere und niedere Gerichtsbarkeit differenziert. Darüber hinaus ist aber auch eine starke räumliche Zersplitterung zu beobachten. Einzelne Einwohner, einzelne Häuser, Felder oder andere Flurstücke konnten verschiedenen Gerichtsherrn unterstehen. Hinzu traten vom Papst oder vom Kaiser verliehen Sonderprivilegien. So besaß die Stadt Magdeburg das Privileg, dass kein Bürger der Stadt einen anderen vor ein fremdes Gericht ziehen durfte.
Es konnte sich also aus einer scheinbar eindeutigen Angelegenheit ein komplizierter und langwieriger Rechtsstreit entwickeln, bei dem die eigentlich strittige Angelegenheit in den Hintergrund trat und es letztlich nur noch um Zuständigkeiten und Kompetenzen ging. Das Kläger und Angeklagter unterschiedliche Standpunkte hatten, ist nur verständlich, nun aber spielten auch die unterschiedliche Gesetzgebung der verschiedenen Gerichtsherren und deren Auslegung eine maßgebliche Rolle. Ein Ausweg aus dieser Misere konnte das Anrufen einer höheren Gerichtsinstanz sein. Da sich Magdeburg als reichsfrei verstand, war dies der Kaiser.
Im vorliegenden Beispiel geht es um Mord und Totschlag. Sowohl das Opfer wie der Beschuldigte waren Magdeburger Bürger. Der Vorfall ereignete sich allerdings in Cracau. Der seit 1910 nach Magdeburg eingemeindete Ort war damals ein dem Domprobst untertäniges Dorf.
Beschuldigt wurde Thomas Rode, der einer der angesehensten Magdeburger Familien entstammte.
Das Bittschreiben
Als Beschuldigter des in Cracau verübten Verbrechens tritt uns Thomas Rode entgegen. Er entstammte einer der angesehensten Familien der Altstadt Magdeburg, die auch im Umland der Stadt, etwa in Prester, über großen Grundbesitz verfügte. Rode schilderte in seinem Gesuch an den Kaiser ausführlich die Ereignisse, die bereits ein Jahr zuvor, am 26. Mai 1543, zu den Vorwürfen gegen ihn geführt hatten. Er sei in Gommern Geschäften nachgegangen, und befand sich in Begleitung eines Stadtsöldners namens Georg Krabwinkel auf dem Rückweg nach Magdeburg. In Cracau begegneten ihnen drei Reiter, darunter der Magdeburger Bürger Moritz Hovemeyer.
Zwischen Krabwinkel und Hovemeyer entwickelte sich nach Rodes Darstellung dabei ein Wortgefecht, in dessen Folge beide zu ihren Waffen griffen. Die Auseinandersetzung soll sich dann in eine andere Gasse des Dorfes verlagert haben, in der dann Hovemeyer durch Krabwinkel erschossen worden sei. Rode betont, dass er des Hovemeyers entleybung halber ganntz unschuldig, dartzu nit gerattenn, nachgeholffenn oder eynichenn willen geben. Dennoch wurde er in Cracau festgesetzt.
Gerichtsherr von Cracau war der Magdeburger Dompropst, in dieser Zeit von 1526 bis 1553 Fürst Georg III. von Anhalt. Dessen Räte, so Rode, hätten seine Unschuld festgestellt und er habe deshalb wieder freikommen sollen. Dies aber habe Steffan Hovemeyer, der Bruder des Getöteten, verhindert. Rode blieb in Haft und sei dadurch in grossenn untreglichen schaden gekommen. Aus der Haft heraus bemühte sich Rode zunächst um einen Geleitbrief des Magdeburger Rates und damit um Haftverschonung. Dies sei ihm aber nicht gewährt worden, villeicht auß einem widerwillenn, so etliche auß denselben wider mich doch unschuldigelich gefaßt. Stattdessen sah sich Rode nun mit einer für ihn besonders bedrohlichen Regelung des Magdeburger Rechts („wylkhürs unnd stattrechts“) konfrontiert. Danach drohte einem Bürger, der einen anderen Magdeburger Bürger erschlug oder seinen Totschlag in Auftrag gab, 50 Jahre Verbannung aus der Stadt. Solcherart in seiner Existenz gefährdet wandte sich Rode nun an den Kaiser und bat ihn um einen Geleitsbrief, damit er als freier Mann mit seinen Gegnern vor Gericht in Cracau, Magdeburg oder vor dem Kaiser prozessieren könne. Sein Hauptargument lautete, es sei offenbar, das Georg Krawinckel, wie er auch selbst gestendig unnd nit in abredt ist, denn Hovereyer entleybt und er, Rode, nicht rhat, that ader hulff dartzu gethann hätte. Er betonte seine Unschuld und stellte die Anwendbarkeit der genannten Gesetze in Frage.
Diese Begründung scheint den Kaiser als handthaber aller gerechtigkhait überzeugt zu haben. Wie den Kanzleivermerken zu entnehmen ist, wurde Rode der gewünschte Geleitbrief gewährt.
Bedeutung der Quelle
Die vorgestellte Quelle offenbart typische Konfliktlinien der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Aus verbalen Beleidigungen konnte, zumal wenn die Ehre auf dem Spiel stand, schnell körperliche Gewalt entstehen. Ging ein Streit vor Gericht, ließ die stark zersplitterte Gerichtsbarkeit den Konfliktparteien viele Möglichkeiten für taktische Winkelzüge, oft mit dem Ergebnis, dass Entscheidungen in die Länge gezogen worden. Auch die Beeinflussung der Rechtsfindung durch persönliche Animositäten wird angedeutet. Interessant sind ferner die Regelungen aus dem Magdeburger Recht, die Rode ausführlich zitiert, gerade weil er ihre Anwendbarkeit in Zweifel zieht. Dies stellt der Forschung wichtige Detailinformationen zur materiellen Gehalt dieses Rechts zur Verfügung, das ungeachtet seiner jahrhundertelangen europäischen Bedeutung in den Quellen oft schlecht zu greifen ist. Schließlich wird deutlich, dass auch einzelne Bürger Magdeburgs ihre Stadt als reichsunmittelbar verstanden und das Recht beanspruchten, sich direkt an den Kaiser zu wenden. Das zeugt von einem ausgeprägten Selbstbewusstsein nicht nur gegenüber ihrer städtischen Obrigkeit, sondern auch gegenüber den Institutionen des Reichs.
Weiterführende Literatur:
Zur Familie Rode: Familienverband Ziering-Moritz-Alemann, Druckheft 3, Berlin1938, S. 246-249.
Transkription
[fol 262r]
Allerdurchleuchtigster großmechtigster unuberwindtlichster keyser, eur key[serliche] may[estä]t seyen mein unnderthenigst gehorsam schuldig dienst alletzeit zuvor. Allergnedigster her, ewr key[serliche] may[estä]t als dem bronnen aller gerechtigkhait bring ich meyner hohen unvermeydlichen nottorfft nach, für das ich mit ainem stattsoldner der altenn statt Magdenburgk, Georg Krobwinckel genennent mein geschefften nach ghein Gummern, zwo meyll von Maydenburg gelegen, geritten unnd als nach endung gemelter meyner geschefft ich sambstags nach Trinitatis des dreiunndviertzigisten jars widerumb heimgeritten in das dorff Kragau dem dhombprobst zu Maydenburgk zustendig nahe bei Maydenburg gelegen, khommen, ist mir ein burger auß der alten statt Maydenburg Moritz Hovemeyer selb dritt zu roß begegnet, mich angesprochenn von mir zu Georgenn Krabwinckelln gerucke unnd denselben mit denn worttenn angesprochenn „Biß du noch so boeß als du jhenßmall wast.“ Darauff bede der Hovemeyer unnd Kraßwinckel zu iren wherenn und feusthemmern gegriffenn, sich mit einander gemangelt, das sie vonn mir in ein ander gaß deß dorffs khommen unnd Hovemeyer in derselbigen, on mein wissen, willen oder bevels, dweyl er nie nichts in unguethem mit mir zuthun
[fol. 262v]
gehapt durch denn vielgedachtenn Krabwinckell erschossen worden. Wiewol ich nun des Hovemeyers entleybung halber ganntz unschuldig, dartzu nit gerattenn, nachgeholffenn oder eynichenn willen geben, so bin ich doch nichst weniger durch das gericht zu Kragau des Hovemeyers entleybung halber, doch unschuldigelich nach der lanndt artt verfestett wordenn, wie woll ich nun wo des erwirdigenn unnd hochgebornen herrn Georgenn fursten zu Anhalt unnd dhombprostenn zu Meydenburgk weltlich rethenn zum rechtenn vergleidt mich auß der verfestung des gerichts zu Kragau in gegenwürtigkheit der entleibtenn bruders Steffan Hovermeyers meins zutringenden wydertheyls so dartzu beruffenn rechtlich pringen unnd volgennts menigelichen peinlichs unnd burgerlichs rechtenns sein, das gericht auch mich in ansehung meyner unschuldt darauß lassen wollenn, so hat doch mein zugenottigter wydertheyl, als er das gemerckt, solchs alles zuverhindern unnd allein zu vertzugk der sachen unnd mich in grossenn untreglichen schaden ferrer zu fürenn unnd vermag nachvolgendis wylkhürs stattut oder stattrechts auß der alten statt Maydenburg seynem gefaßten widerwillen nach behalten wollen sich an hochermelten mein
[fol. 263r]
gnedigen fürsten von Anhalt berueffen unnd also mir zu grossem schaden die sach in verlengerung pracht, das ich darauff gemüssiget an ein erbarrn rhat der statt Meydenburgk mich in die alten statt Maydenburgk umb gleidt zum rechten unnd fur gewaldt khommen zulassenn, zusupplierenn, das ich vermag der recht unnd alle pillicheit zum rechtenn, das doch niemants soll abgeschlagen werden sollt vergleidt werden sein, so hat mich doch ein erbarer rhat im schein nachvolgenden wylkhürs unnd stattrechts wiewoll mich dasselb nit begreifft villeicht auß einem widerwillenn, so etliche auß denselben wider mich doch unschuldigelich gefaßt zum rechten nit vergleittenn wollenn, wilkhürr, item wer einen burger oder burgerin der alten statt Meydenburg thotschlecht oder gelt darumb gebe oder neme auff welcherlei weiß das wer, der soll der statt entberen funfftzig jar, wirdt er aber auff hanndthafftiger that oder in funfftzig jaren in der statt purkmauren, uff den mersch, kurtz oder lang bruck, der statt graben betroffenn soll mann ime sein recht thuen, wirdt aber ein bidermann betzichtiget, das er ein burger oder burgerin thot geschlagenn hette, will er des
[fol. 263v]
entschuldigt werden, soll er sich des rhades dath folges unnd geverdes selbst sieben unbesprochen leuthen in einem gehegten burgdinge auff den heyligen benemen unnd entledigen unnd anders nirgen.
Dweyl nun ich weder rhat oder thatt zu des Hovemeyers entleybung noch geben noch gethann, daran unschuldigk recht leiden mich mich [!] derhalben gegen menigclich verantwortten unnd freyen mag, menigclich bei recht gelassenn werden, soll obenberurth wylkhür oder statt recht mich gar unnd zumoll nit begreifft, dann ich den Hovemeyer entleibt, noch rhat, that ader hulff dartzu gethann, das mich das erst gesetze des wylkhürs nit binndt, so ist offenbar das Georg Krawinckel, wie er auch selbst gestendig unnd nit in abredt ist, denn Hovereyer entleybt, das mich das zweit gesetz des wylkhürs gar nit begreifft, noch mir nachteylig, dweyl es von zweyffelhafftigenn entleybungen unnd nit gewissen, wie des Hovemeyers ist, red unnd ordnet, dweyl nun dem wie vorgetragenn domit ich dann nit unschuldigclich auß meynem vetterlanndt der alten statt Maydenburgk unverschulter weiß aber das das ich recht leiden mag zu meynem entlichen verderben getrieben unnd gehalten werde. So ist mein
[fol. 266r]
unnderthenigst pitt e[ure] key[serlich]e may[estä]t als handthaber aller gerechtigkhait wollen mir in ansehung meyner unschuldt unnd das ich recht mag, unangesehen obenberürts wilkhurs oder stattrechts in die alten statt Maydenburgk unnd der lanndt artt gleidt zum rechtenn unnd fur gewaldt gnedigst dem rechten und der pillichait nach geben unnd mitteylen, will ich menigclichem zu Krakau unnd Maydenburg oder wo sich das gepurtt rechtlicher furderung unnd spruch auch obenberurts wilkhurs halbenn vor der ordenlichen obrigjkait e[urer] key[serliche]n may[estä]t oder ann derselben cammergericht nit fur sein sonder recht gebenn unnd neben solchs umb euer key[serlich]e may[estä]t welche Got in langwirig gluckseliger regierung gefristen woll, will ich in aller underthenigster dienstparkheitt alletzeit meins vermogens gerrn verdienen
e[uer] key[serliche]n may[estä]t underthenigster gehorsamer Thomas Rhode, Burger der alten statt Meydennburgk
[fol. 266v]
[Kanzleivermerke:] Supplication umb gleidt ann die rhomische key[serliche]n may[estä]t belangen Thomassen Rhode, burgers d[er] alten stat Magdenburgk
Ist glait erkant wie begert.
Act[um] in consilio imp[eria]li 20. Mai 1544.