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Magdeburger Spuren, Nr. 422

Bürgermeister, Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg berichten Kurfürst August von Sachsen über die ungebührlichen Aussagen des Dr. Tilemann Heshusen, Pastor zu St. Johannis, weshalb man Verteidigungsschriften hat drucken lassen, die man dem Kurfürsten schickt, Magdeburg, 22. Februar 1563.

Die Quelle

Das unter der Signatur „Sächsisches Staatsarchiv, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 09154/05“ im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrte Dokument ist Teil einer Akte mit dem Titel „Magdeburg, allerlei Schreiben und Händel in oben genannter magdeburgischer Sache.“ Sie überliefert vermischtes Material aus der Zeit, als die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen gemeinsam mit dem Erzbischof die Stadtherrschaft, das so genannte Tripartit, ausübten.

In dieser Akte befindet sich Schriftverkehr zwischen Bürgermeister, Rat und Innungsmeister der Stadt Magdeburg und Kurfürst August von Sachsen über Angelegenheiten der Stadt.

Die Akte ist foliiert und die Ausfertigung des Schreibens beginnt auf Seite 144/1r und endet mit der Anschrift und mehreren Kanzleivermerken auf Seite 145v. Das Dokument ist mit Tinte in einer sauber ausgeführten deutschen Kurrentschrift auf Papier geschrieben. Es ist auf den 22. Februar 1563 datiert und auf der Rückseite mit dem Sekretsiegel der Stadt beglaubigt.

Der Hintergrund

Als Tilemann Heshusen im August 1560 sein Amt als Pfarrer der Johanniskirche antrat und im Folgejahr Superintendent in Magdeburg wurde, stand Magdeburg immer noch unter der am 27. Juli 1547 von Karl V. verhängten Reichsacht. Damit waren für die Stadt zahlreiche Behinderungen und Einschränkungen verbunden. Man hatte zwar einen moralischen Sieg errungen, aber nach der Euphorie des Sieges musste man ins „normale“ Leben zurückfinden. Der Rat verfolgte eine Politik des Ausgleichs mit dem Kaiser. Die Annäherung an den Erzbischof gelang zumindest teilweise im Januar 1558 durch den Wolmirstedter Vertrag, in dessen Folge die Domherren in die Stadt zurückkehrten und Magdeburg vorübergehend eine gemischtkonfessionelle Stadt wurde. Die Verhandlungen mit dem Kaiser blieben aber schwierig und sollten erst 1562 zur Aufhebung der Acht führen.

Seit der Frühphase der Reformation war Magdeburg stolz auf den Ehrennamen „Unseres Herrgotts Kanzlei“. Nach dem erfolgreichen Widerstand gegen den Kaiser war die Stadt auch Zufluchtsort für zahlreiche strenge Lutheraner, die andernorts unerwünscht waren und die von Magdeburg aus ihre umstrittenen Thesen durch Flugschriften verbreiteten.

Die Stadtoberen sahen sich vor die Frage gestellt, wie weit sie bereit waren, ihren eigenen Mythos zu opfern, um die Gunst des Kaisers wieder zu erlangen.

Zunächst wurde Heshusen mit Enthusiasmus in Magdeburg empfangen und nach kurzer Dienstzeit als Pfarrer der Johanniskirche zum Superintendent berufen. Doch bald sollten sich die Spannungen zwischen Rat und evangelischen Predigern, die schon länger andauerten (siehe Schaufenster: „Amsdorf liest dem Rat die Leviten“, Magdeburger Spuren Nr. 403), wieder verschärfen.

Der neuerliche Streit entzündete sich an den sogenannten „Lüneburger Artikeln“, die strenge Auffassungen formulierten, die der Mehrheit der lutherischen Geistlichkeit unannehmbar erschienen. Als Heshusen forderte, dass Prediger und Schuldiener Magdeburgs diese „Lüneburger Artikel“ unterzeichnen sollten, wuchsen die Differenzen mit dem Rat. Letztlich ging es um die Meinungsführerschaft innerhalb der Stadt. Wer bestimmte die Politik der Stadt – der Rat oder die Theologen.

Besonders durch Streitschriften gegen den Bischof untergrub Heshusen die Bemühungen des Rates um einen Ausgleich mit dem Erzbischof, der 1562 eine Delegation zur endgültigen Klärung letzter offener Fragen in die Stadt entsandt hatte. Der Konflikt eskalierte, als der Rat verhinderte, dass Johann Wigand Pfarrer zu St. Ulrich wurde und damit die Autonomie der Gemeinde einschränkte. Heshusen schloss daraufhin die Mitglieder des Rats von den Sakramenten und der Absolution aus. Später belegte er sie gar mit dem Bann.

Da Heshusen eine breite Anhängerschaft in seiner Gemeinde gewonnen hatte, die auch zum Widerstand gegen den Rat bereit war, ging der Rat rigoros gegen Heshusen und andere Geistliche vor und ließ sie mit militärischer Begleitung aus der Stadt bringen.

Daraufhin kam es zu einem Austausch von Streitschriften zwischen dem Rat und Heshusen, der Ausgangspunkt des hier vorgestellten Briefes an Kurfürst August war.

Tilemann Heshus (Heshusius)

Tilemann Heshusen kam am 3. November 1527 als Sohn einer einflussreichen Familie in der bedeutenden Stadt Wesel am Niederrhein zur Welt. Er studierte bei Philipp Melanchthon in Wittenberg und erwarb dort den akademischen Grad eines Magisters. Er war im wörtlichen Sinne ein streitbarer Theologe, der kaum bereit war, von seinen Überzeugungen abzuweichen. Deshalb musste er immer wieder seine Wirkungsstätte wechseln. Bevor er von 1560 bis 1562 Pfarrer und Superintendent in Magdeburg war, agierte er u. a. 1553 als Pastor primarius zu Goslar, 1556 als Professor und Pastor in Rostock und 1557 als erster Professor und Generalsuperintendent in Heidelberg.

Heshusen gehörte zu den Theologen, die das Erbe Luthers unverfälscht bewahren wollten, dabei scheute er auch den Bruch mit ehemaligen Freunden und Weggefährten nicht. So verstritt er sich mit Johann Wigand und Matthias Flacius.

In Magdeburg bemühte er sich, ein strenges Luthertum durchzusetzen und kämpfte gegen „Unsitten“. Es kam zu heftigem Tumult, und Heshusen wurde ausgewiesen.

Danach diente er 1565 als Hofprediger und Visitator in Neuburg/Donau und wurde 1569 Professor in Jena. 1573, nach dem Tode Herzog Johann Wilhelms I., übernahm Kurfürst August die Verwaltung für Sachsen-Weimar, woraufhin Heshusen und rund 100 andere Pfarrer das Land verlassen mussten. Heshusen ging zunächst nach Königsberg und wurde im selben Jahr Bischof von Samland. Nach einem Streit mit Johann Wigand wechselte er erneut seine Anstellung und erhielt eine Professur in Helmstedt, wo er 1588 verstarb.

Der Brief

Hauptanliegen des vorliegenden Briefes war es, auf eine Nachfrage des Kurfürsten zu reagieren, dem offensichtlich ein älterer Bericht des Magdeburger Rates zu der Ausweisung von Geistlichen aus der Stadt nicht ausreichend war. Dazu erklärte man, dass man zuvor das Geschehen nur allgemein geschildert hatte, ohne Namen zu nennen, weil man den bewussten Personen die Chance einräumen wollte, sich zu entschuldigen.

Nun aber hatte Tilemann Heshusen ein gantz unchristlich unrechtmessigh und unbillch schreiben gegen den Rat und eine gantz ungegrundte gevehrliche lesterung, schmach und verachtung unserer von gnaden Gottis habenden reynen wahren christlichen religion verfasst. Damit hätte er den Ruf und ihrer Bürger nachhaltig geschädigt.

Gegen diese Anschuldigungen hatte der Rat Gegendarstellungen und Verteidigungsschriften drucken lassen, die er nun gemeinsam mit diesem Brief dem Kurfürsten übersandte. Gleichzeitig bat man den Kurfürsten D. Tilemanno und seinem albereith habenden und noch weiter suchenden gevehrlichen anhang zu seinem unordentlichen vorhaben keinen platz, vorschub noch unterschleiff mit druckereyen oder sunsten in andern wegen zu verstatten.

Abschließend wurde nochmal betont, dass man weiterhin der rom[ischen] key[serlichen] m[ajestä]t und des Heiligen Romischen Reichs treue undt gehorsame unterthanen sei.

Bedeutung der Quelle

Mit der Ausweisung der Theologen verlor Magdeburg seine besondere Rolle als Zufluchtsort der streitbaren lutherischen Geistlichkeit und Zentrum der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Erbe Luthers. Der Rat war bereit, diesen Nimbus zu opfern, um nach Jahren unter der Reichsacht wieder „Normalität“ zu erlangen. Diese Bemühungen wurden durch „fundamentalistische“ Forderungen einiger Geistlicher gefährdet, die ihre religiösen Ansichten durchsetzen wollten und dafür schlechte Beziehungen zwischen der Stadt und dem Erzbischof in Kauf nahmen.

Die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Geistlichkeit haben gewiss eine umfangreiche Überlieferung im Stadtarchiv hinterlassen. Der vorgestellte Brief erhellt besonders die Vorgehensweise und Handlungsmotive des Rates. Bei seiner Auswertung gilt es zu beachten, dass er eine einseitige Sichtweise wiedergibt, die Argumente der Theologen werden nicht objektiv wiedergegeben.

Weitergührende Literatur

Kühne, Hartmut, Tilemann Heshusen und Magdeburg, in: Köster/Poenicke/Volkmar (Hg.): Magdeburg und die Reformation Teil 2 : Von der Hochburg des Luthertums zum Erinnerungsort, Halle 2017, S. 115-131.

Kaufmann, Thomas, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548–1551/2) [Beiträge zur historischen Theologie 123] Tübingen 2003.

Transkription

[fol. 144/1r]

Durchleuchtigister hochgeborner khurfurst, euern khurfurstlichen gnaden seint unser unterthenige willige dienst zuvor, gnedigster herr.

Auß was hochbewegenden dringenden ursachen wir im verschienem jar etzlich personen, ßo alhier ein zeitlang bey uns in kirchen, ampten undt gastweiß gewesen, haben von uns kommen lassen, ist e[uer] khurf[urstlichen] g[naden] sonder zweivel auß unserm derhalben außgegangenem bericht unterthenigh vorgebracht worden, ob nun woll in demselbigen bericht unser beschwerungh in gemein vermeldet und niemandt namhafftich gemacht oder hoch beschuldiget worden, und do sich iemand dessen annemen und sich entschuldigen oder uns war umb besprechen, wollen wir einem jedem christliche rechtmessige ziemliche und billich entschuldigung, ab er der hett, woll gunnen mögen, uns auch uffn fall der anspruch zu ordentlichen wegen erbotten undt rechtens niemandt vor sein wollen, szo hatt doch D. Tilemannus Heßhusius Vesaliensis, welcher alhier bey uns ungevehrlich ins dritt jar zu Sanct Johanns pfarrer und ins ander jar superattendens gewesen ein gantz unchristlich un-

 

[fol. 144/1v]

rechtmessigh und unbillch schreiben wider uns außgesprengt, in welchem doch nicht einiche christliche, ziemliche und gegrundte seiner und seines anhangs enschuldigung sondern eine gantz ungegrundte gevehrliche lesterung, schmach und verachtung unserer von gnaden Gottis habenden reynen wahren christlichen religion der augspurgischen confession und derselben unverrückten bekentnuß begriffen ist, neben untzehlichen ertichten schweren ufflagen, domit er unsere arme stadt und kirch, uns und unser treue kirchen-, raths- und schulendiener, burger und verwandten außwendich umb unsern ehrlichen guten namen gunst und freundtschafft und inwendich in einen mißverstandt zu bringen  und unser beide stadt- und kirchenregiment in verterblichen untergang zu fuhren vermeinet. Und was dann nach alhier geschafftem seinem willen weiter auch anderßwoe ervolgen macht, er auch woll zu versuchen gemeinet sein konth, nicht unklarlich zu vermercken, dessen wir auch keinen zweivel tragen e[uer] khurf[urstlichen] g[naden] auß demselbigen seinem schreiben woll werden erfahren und ihrem hohen verstand

 

[fol. 144/2r]

nach vernommen undt bewogen habenn, wann uns dann solchem D. Tilemanni gevehrlichen virnemen mit stilschweigen raum undt stath zu geben Gottis, der warheit, ehren undt rechts wegen mit nichten gebühret, alß haben wir vor uns, auch unser treue verwandten tzliche nothwendige defension schrifften begreiffen und abduckenlassen, die e[uren] khurf[urstlichen] g[naden] wir hiemit neben unserm vorigen gemeinen bericht unterthenigh zuschicken, unterthenigklichen bittend, die selbigen mit gnaden antzunemen, den selbigen gnedigist stath und glauben zu geben, D. Tilemanno und seinem albereith habenden und noch weiter suchenden gevehrlichen anhang zu seinem unordentlichen vorhaben keinen platz, vorschub noch unterschleiff mit druckereyen oder sunsten in andern wegen zu verstatten sondern dieselbigen vielmehr zu verkommen und abtzuwenden und alß der rom[ischen] key[serlichen] m[ajestä]t und des Heiligen Romischen Reichs treue undt gehorsame unterthanen bey gleich und recht undt desselbigen hievor und abermahls beschehenem erbieten

 

[fol. 144/2v]

gnedigst schutzen und handthaben. In gnedigister betrachtung was e[ure] khurf[urstliche] g[naden] alß einem loblichen hauptglied des Heiligen Romischen Reichs und christlichen regenten selbst mit an solchen hendlem gelegenn und das e[ure] khurf[urstliche] g[naden] in gleichem fall solchs ihnen von andern zu geschehen begern und gern gethan wissen und haben wurden, das neben der billigkheit umb e[ure] khurf[urstliche] g[naden] untertheniglichen zu verdienen wollen wir zu jeder zeit mit vleiß bereithwillich erfunden werden, datum unter unser stadt secreth montags nach Esto mihi anno [15]63

E[ure] khurf[urstliche] g[naden]

unterthenige willige rathmann unf innumgßmeister der altenstadt Magdenburgk.

 

[fol. 145v]

[Kanzleivermerk:] Der rath tzu Magdeburgk uberschickt etzliche gedruckte schrifften wieder Hessusium und seinen anhang und thut uns bericht dor… [?]

[Adresse:] Dem durchleuchtigisten hochgebornen fursten undt herren, herrn Augusto, hertzogen zu Sachsen, des Heiligen Rom[ischen] Reichs ertzmarschalln undt khurfursten, landtgraffen in Duringen, margkgraffen zu Meissen und brugkgraffen zu Magdeburgk unsern gnedigisten herr.

[folgen weitere Kanzleivermerke]

Zitiervorschlag

Jens Kunze, Theologen oder Politiker – Wer gibt den Ton an? Magdeburg informiert Kurfürst August von Sachsen über den Streit mit Tilemann Heshusen, https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=422 (19.04.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
422
Datierung
22.02.1563
Systematik 1
02.01.04 Fürsten
Systematik 2
Reformation
Fundort
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
Signatur Fundort
Sächsisches Staatsarchiv, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 09154/05, fol. 144/1r-145v.
Aktentitel
Magdeburg, allerlei Schreiben und Händel in oben genannter magdeburgischer Sache.
Beschreibung
Original, dt., Tinte auf Papier, Sekretsiegel auf der Rückseite, Kanzleivermerke.
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