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Magdeburger Spuren, Nr. 190

Der Schöffenstuhl zu Magdeburg erklärt sich bereit, die Gerichtsbarkeit in Kriminalsachen der Stadt Braunscheig für drei Jahre zu übernehmen, Magdeburg, 2. Januar 1615.

Die Quelle

Die im Stadtarchiv Braunschweig unter der Signatur „B IV 2g: 11“ aufbewahrte Akte mit dem Titel „Die dem Schöppenstuhl zu Magdeburg auf 3 Jahre übertragenen Rechtssprüche in Kriminalsachen zu Braunschweig“ aus dem Jahr 1615 enthält neben dem hier vorgestellten Dokument auch den abschließenden Vertrag zwischen der Stadt Braunschweig und dem Schöffenstuhl sowie weitere Schriftstücke.

Das mit Tinte auf Papier geschriebene Dokument ist mit einem aufgedrückten Sekretsiegel versehen und in einer sauber ausgeführten deutschen Kurrentschrift abgefasst, wobei für lateinische Begriffe eine humanistische Kursive verwendet wurde. Das Schriftstück umfasst drei Seiten und ist nicht foliiert.

Der Schöffenstuhl

Der Magdeburger Schöffenstuhl war eine der bedeutendsten Gerichtsinstanzen im vormodernen Europa. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sind in Magdeburg Schöffen als Amtsträger bezeugt und mit Aufgaben der Rechtsprechung betraut. Sie standen in Zusammenhang mit dem Heraustreten der wachsenden Städte aus dem grundherrschaftlichen Verband, deren anfallende Verwaltungsaufgaben sie als Mitglieder des Rats zunächst übernahmen. Doch schon 1295 wurde in Magdeburg das Schöffenkollegium vom städtischen Rat getrennt. Ein früher Akt der Gewaltenteilung, der Interessenkonflikte ausschließen und die Unabhängigkeit der Rechtsfindung stärken sollte.

Neben der Spruchtätigkeit in Magdeburger Rechtsfällen kam den Schöffenstuhl eine besondere Rolle bei Anfragen von auswärtigen Städten zu. Die Schöffen erarbeiteten Rechtsweisungen und -belehrungen, durch die sie die Normen des Magdeburger Rechtes verbindlich auslegten.

Ausgehend von Magdeburg erreichte das Magdeburger Recht – eine variable und anpassungsfähige Sammlung von Normen und Rechtsvorstellungen – aufgrund seines innovativen Charakters eine große zeitliche und räumliche Ausbreitung. So nahm es auf die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtsordnungen Mittel- und Osteuropas entscheidenden Einfluss. In nahezu 1000 Orten im heutigen Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Weißrussland, Lettland, Litauen, der Ukraine und Russland galt es im Laufe der Jahrhunderte auf verschiedene Art und Weise.

Während schon früh einzelne Herrscher versuchten, durch eigene Oberhöfe die überterritoriale Bedeutung des Magdeburger Schöffenstuhls zu unterlaufen, war diesen Versuchen aber erst dann größerer Erfolg beschieden, als sich Deutschland im Zuge der Reformation konfessionell aufspaltete und daher etwa katholisch gebliebene Gebiete vom Rechtszug nach Magdeburg abgeschnitten wurden. Das endgültige Aus für die Bedeutung Magdeburgs als Oberhof kam mit der die Vernichtung der umfangreichen Spruchsammlung des Schöffenstuhls bei der Zerstörung 1631. Mit dem Archiv war dem Magdeburger Schöffenstuhl die Grundlage seiner Rechtsprechung verlustig gegangen. Alle Versuche der Wiederbelebung mussten scheitern.

Aussage und Einordnung der Quelle

Die hier vorliegende Quelle beschreibt ein Tätigkeitsfeld des Schöffenstuhles, das in der Forschungsliteratur bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Es ging hier um weit mehr als die üblichen Rechtsauskünfte des Magdeburger Oberhofs. Vielmehr erklärte sich der Schöffenstuhl auf Wunsch des Rates der Stadt Braunschweig bereit, sich der Urteilsfindung in malefitz oder peinlichen sachen – also der Hochgerichtsbarkeit – anzunehmen. Für drei Jahre wollte der Schöffenstuhl nach anleitung der stadt Braunschweig gedruckter policey statuten, item Caroli quinti und des reichs peinlichen halßgerichts ordnung, so wol beschriebener kayser- und successive landublicher form und subscription entsprechende Prozesse entscheiden. Dabei war offenbar eine Art Arbeitsteilung vorgesehen. Zeugenaussagen und die ggf. mit Folter verbundenen Verhöre der Beschuldigten sollten in Braunschweig zusammengestellt, die Urteile dann aber auf Aktenlage in Magdeburg gefällt werden. Mindestens drei Jahre lang wurde die hohe Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Stadt Braunschweig also nicht mehr von einem örtlichen Gericht wahrgenommen, sondern durch den Magdeburger Schöffenstuhl. Dabei verpflichteten sich die Schöffen, nicht einfach Magdeburger Recht anzuwenden, sondern die lokale Braunschweiger Gerichtsordnung und die reichsweit geltende Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. zu beachten.  Außerdem sagten sie zu, alles ordnungsgemäß zu protokollieren, die Akten ordentlich zu führen und baldmöglichst ins Braunschweiger Archiv abzugeben.

Unabhängig von der Anzahl der zu bearbeitenden Fälle erhält der Schöffenstuhl dafür von der Stadt Braunschweig jährlich 60 Taler auf zwei Termine, je die Hälfte am Johannistag und zu Weihnachten. Hinzu kamen zu den gleichen Terminen noch je drei Taler für die Notare. Ob darüber hinaus auch die zum Teil beträchtlichen Strafgelder und Gerichtsgebühren nach Magdeburg fließen sollten, bleibt unklar. Der Vertrag hatte eine Mindestlaufzeit von drei Jahren. Er sollte sich automatisch jeweils um ein Jahr verlängern, wenn die Parteien nicht ein Vierteljahr vorher kündigten. Wie lange der Vertrag tatsächlich gültig war, bedarf noch weiterer Forschungen.

Bedeutung der Quelle

Die Gerichtsbarkeit lag ursprünglich in der Hand des jeweiligen Stadtherrn. Sie zu erwerben, war für die Autonomiebestrebungen der Städte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ein besonders wichtiger Erfolg. Braunschweig gelang es im 14. Jahrhundert schrittweise sowohl die niedere als auch die höhere Gerichtsbarkeit zu übernehmen.

Nur selten wurde die Möglichkeit Recht zu sprechen, freiwillig von einem Gerichtsherrn an einen anderen abgetreten. Das geschah mitunter für einzelne Ortschaften, wenn diese fernab vom Kerngebiet des jeweiligen Herrschaftsträgers lagen, oder wenn Gerichtsherren aus finanziellen Gründen auf dieses Recht verzichteten und es verkauften.

Möglicherweise stand die zeitweise Übertragung der Hohen Gerichtsbarkeit an den Schöffenstuhl im Zusammenhang mit der Belagerung Braunschweigs durch Herzog Friedrich Ulrich im Jahr 1615, die als besonders hart beschrieben wird. Das vorgestellte Dokument belegt aber auch, wie eng die Beziehungen zwischen Braunschweig und Magdeburg waren und welch hohes Ansehen der Schöffenstuhl noch im frühen 17. Jahrhundert genoss.

Denn auch für die Arbeit des Schöffenstuhls war diese Übertragung der erstinstanzlichen Urteilsfindung für Braunschweiger Kriminalfälle keine alltägliche Angelegenheit. Sein Kerngeschäft bestand seit vielen Jahrzehnten darin, anderen mit Magdeburger Recht bewidmeten Städten Rechtsauskünfte zu erteilen, diese also in Zweifelsfällen zu beraten. Nicht für alle anfragenden Städte waren die Antworten der Magdeburger Schöffen bindend, aber letztlich besaß der Schöffenstuhl die Interpretationshoheit über das Recht Magdeburger Provenienz.

Die Schöffen selbst schätzen ein, dass diese Vereinbarung mit Braunschweig mit den andern gemeinen peinlichen ertheilen und gewöhnlichen rechtsbelehrungen keine gemeinschafft besitzt.

Die Forschung ist sich einig, dass der Schöffenstuhl ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor für Magdeburg war. Möglicherweise stand hinter der Vereinbarung mit Braunschweig der Versuch, sich ein neues „Geschäftsfeld“ und zusätzliche Einnahmen zu erschließen. Da weiterführende Quellen dazu bisher nicht gefunden worden, müssen solche Überlegungen vorerst Spekulation bleiben.

Weiterführende Literatur:

Lück, Heiner, Der Magdeburger Schöffenstuhl als Teil der Magdeburger Stadtverfassung, in: Hanse, Städte, Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellung Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 28. Mai bis 25. August 1996, Braunschweigisches Landesmuseum Ausstellungszentrum Hinter Aegidien 17. September bis 1. Dezember 1996, Hg. von Matthias Puhle. Magdeburg 1996, S. 138 ff.

Carls, Wieland, Rechtsanfragen und Rechtssprüche. Zur Praxis des Rechtsverkehrs mit dem Magdeburger Schöppenstuhl, in: Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung „Faszination Stadt“, Hg. von Gabriele Köster, Christina Link, Heiner Lück, Dresden 2018, S. 126-143.

Transkription

Wir schöppen zu Magdenburg fur jedermänniglichen hiemit uhrkunden und bekennen: Alsz ein ehrnvester hochweiser rath der stad Braunschweig unterm dato 28. Novembris a[nn]o 1614 wegen vorsprechung der malefitz oder peinlichen sachen mit unserm collegio, der urteils gebur halber uf ein gewißes annuum, sich in handlung zubegeben freundlich nagesuchet, war in ihrem hoch- und erb. w. zumahl dergleichen handlungen zwischen etlichen furstenthumben, herrschafften und städten und uns in vorigen jahren mehr ergangen wilfahrung zuerstatten wir uns am 1ten decembris des jungst abgelittenen jahres hinwieder schrifftlich resolviret und ercleret.

Alß vorpflichten und zusagen wir krafft dieses, daß wir sothane malefitz und peinliche sachen, wie viel oder wenig deren bey der stad Braunschweig und ihren untergehörigen gerichten in nehsten dreyen jahren vorfallen werden, guttwillig an uns nehmen, die inquisition proceß, zeugschafften und andere acta, was darzu nötig mit gutem trewen fleiß, collegialiter verlesen, ihrer wichtigkeit nach reiflich erwegen, gebuhrende rechtmäßige wollbeständige urtheil nach anleitung der stadt Braunschweig gedruckter policey statuten, item Caroli quinti und des reichs peinlichen halßgerichts ordnung, so wol beschriebener kayser- und successive landublicher form und subscription unter unserm gerichts insiegel, so baldt iedertzeit ohn sonderbahre auffhaltung der poten mueglich außandworten und von uns kommen laßen wollen.

[nächste Seite]

Vor welche bemuhung wolgemelter rath indes jahr besonders sechtzig reichsthaller, in specie, dem collegio und sechs reichsthaler unsern notariis uff zween termin alß den halben theil uf Johannis und den nachstand, außgangs in des jahres, kegen die weyhenachtfeyr uf gewöhnliche quittung anhero uf Magdenburg einzuschicken und abzureichen versprochen.

Wollen auch die protocolla und acta fleißig halten und gebuhrender ordentlicher maßen iederzeitt registriren. Auch nach beschehener execution deren acten uf ieglichen begebenden nottfall pro recursu sich habende zu gebrauchen bey ihren archivis wol verwahrlich reponiren laßen.

Ob aber in zeitt wehrender dieser bestallung etwan hochwichtige peinliche sachen, darin unsere rationes dubitandi et decidendi in forma consilii zu stellen und abzufaßen, wurd erfordert, vorfallen sollten, hatt selbiges mit den andern gemeinen peinlichen ertheilen und gewöhnlichen rechtsbelehrungen keine gemeinschafft, sondern wirdt mehrwolgemelter rath nachdem die sachem hoch und wichtig, die labores auch heuffig und schwer befunden, sich derhalben sonsten freundtlich zu bezeigen und die bemühung nach billigkeit zu erkennen wißen.

[nächste Seite]

Wan aber obbenante drey jahr zu- und abgelauffen und vorschienen soll iedem theil ein viertel jahr vorher schrifftliche aufkundigung zu thun frey stehen.

Zum fall aber dieselb von keinem theil erfolgt, die bestal- und verhandelung vor sich continuiren und allerseits unverruckt gehalten werden.

Uhrkundlich ist dieser recess in unserm rath öffendtlich vorlesen approbiret und mit unserm gerichts insiegel bekrefftiget.

Geschehen den 2ten monats January dieses nach der geburth Cristi gotthelff zu gnaden wolangehenden sechtzehenhunder und funfftzehenden jahres.

Zitiervorschlag

Jens Kunze, Überregionaler Dienstleister. Der Magdeburger Schöffenstuhl übernimmt die Strafgerichtsbarkeit in Braunschweig (1615), https://www.magdeburger-spuren.de/de/detailansicht.html?sig=190 (28.03.2024)

Erschließungsinformationen

Signatur
190
Datierung
02.01.1615
Systematik 1
03 Schöffenstuhl
Systematik 2
Juristische Angelegenheiten
Fundort
Stadtarchiv Braunschweig
Signatur Fundort
Stadtarchiv Braunschweig, B IV 13a: 11
Aktentitel
Die dem Schöppenstuhl zu Magdeburg auf 3 Jahre übertragenen Rechtssprüche in Kriminalsachen zu Braunschweig
Beschreibung
Ausfertigung mit Siegelabdruck, dt., Tinte auf Papier
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